Wie ist ihr Unternehmen durch die Corona-Zeit gekommen, was hat sich verändert? Barbara Wittmann, Country Manager DACH bei LinkedIn, im Gespräch mit dem HR JOURNAL.
Wie werden die Menschen bei LinkedIn in Zukunft arbeiten? „Wir haben viele unserer Annahmen über Bord geworfen“, sagt Barbara Wittmann. Fertige Konzepte sind nur begrenzt sinnvoll. Nachfragen, offen sein für Feedback und Anregungen. Das sei jetzt der richtige Weg, um zu verstehen, wie die Mitarbeiter arbeiten möchten. Denn zu unterschiedlich empfinden diese die Rückkehr aus dem Homeoffice ins Büro, in eine hybride Arbeitswelt. Wittmann plädiert dafür, sich Zeit zu nehmen, um das Beste aus den zwei Welten zu verstehen. Eines ist aber jetzt schon klar: Auf HR kommt viel Arbeit zu. Erfahren Sie hier mehr.
Wie haben Sie die Corona-Zeit bisher erlebt?
Barbara Wittmann: Homeoffice war für uns nichts Ungewöhnliches, weil wir schon immer die Möglichkeit dazu hatten und gerne auch genutzt haben. Aber ausschließlich im Homeoffice zu arbeiten und alles per Video zu machen, war dann doch neu und wir spüren bei LinkedIn schon eine gewisse Müdigkeit. Mir geht das selbst auch so. Die Kreativität und Spontaneität eines persönlichen Gesprächs oder die zufällige Begegnung beim Kaffee ist per Video schwieriger herzustellen. Ich vermisse den persönlichen Austausch und unser Team. Deshalb liegt der Fokus bei vielen Unternehmen weniger darauf, Kostenreduzierungen durch die geringere Nutzung von Büroflächen zu erzielen, sondern zu verstehen, wie Mitarbeiter arbeiten möchten. Es ist wichtig zu verstehen, wann Mitarbeiter ins Büro kommen wollen – und mit welchem Interesse. Hier lauten in der Regel die Antworten „um die Kollegen zu treffen“ und um kollaborativ zu arbeiten. Aber wir sollten uns auch Zeit lassen, diese Interessen zu verstehen, um das Beste aus „beiden Welten“ umsetzen zu können.
Was hat die Pandemie in Ihrem Unternehmen dauerhaft verändert?
Barbara Wittmann: Vieles hat sich durch die Pandemie verändert, Mobilität wird anders definiert, wie und wie oft fahre ich ins Büro, welche Dienstreisen sind nötig. Jeder und jede empfindet die Rückkehr ins Büro anders. Die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei uns planen, zwei Tage in der Woche im Homeoffice zu arbeiten. Aber trifft das auf alle zu? Wir werden versuchen, unterschiedliche Konzepte anzubieten. Unsere Prämissen sind dabei Vertrauen und Flexibilität. Und wir haben gelernt, dass wir nicht zu schnell Dinge regeln sollten, weil wir glauben, alles zu wissen. Also: Lieber noch einmal nachfragen und zuhören, als sofort etwas in Stein zu meißeln. Wir wollen besser verstehen, wie die Teams arbeiten möchten und deshalb fragen wir unsere Mitarbeiter alle drei Monate nach Feedback dazu, wie sie arbeiten wollen und in welcher Umgebung sie produktiv arbeiten können. Wie sollen wir unsere Büros gestalten? Brauchen wir mehr Meetingräume? Mehr Ruhezonen? Was wir gelernt haben: „Nicht vorschnell Annahmen treffen und immer wieder nach Feedback fragen“.
Die Corona-Homeoffice-Zeit war für uns alle eine Riesenherausforderung, vor allem aber für Eltern und Alleinerziehende. Wie sind Sie bei LinkedIn damit umgegangen?
Barbara Wittmann: Natürlich haben wir bei LinkedIn auch viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Kindern in unterschiedlichem Alter. Wenn Kitas und Schulen geschlossen sind und Kinder zu Hause betreut werden beziehungsweise Schule zu Hause stattfindet, dann ist ein konzentriertes Arbeiten und die Teilnahme an Videokonferenzen nicht immer möglich. Unsere Herangehensweise war: Darüber sprechen, mit den Vorgesetzten aber auch im Team. Gleichzeitig haben wir auch aktiv die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darauf hingewiesen „Nehmt Euch Auszeiten“.
Der „Mute“-Button ist nicht die Lösung. Um auch wirklich den Raum für Auszeiten zu schaffen, haben wir für Eltern zusätzliche Urlaubstage für die Kinderbetreuung angeboten, die auch genutzt wurden. Dies haben wir schon sehr früh eingeführt, aber auch gesehen, dass die Akkus bei vielen trotzdem immer leerer wurden. Deshalb haben wir allen unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in diesem Jahr in der Woche nach Ostern weltweit freigegeben – quasi „Betriebsferien“ gemacht. Es gab also keinen Druck, Mails zu checken und nach dieser Woche war keine Mailflut in der Inbox zu erwarten. Das hat das Bewusstsein der Belegschaft geschärft, freie Tage nehmen zu können, auch wenn Urlaubsreisen nicht möglich sind.
Als weitere Maßnahme haben wir einmal im Monat einen Freitag ohne Meetings eingeführt. Darüber hinaus haben wir uns über effiziente Kommunikation in virtuellen Umgebungen Gedanken gemacht. Wie schaffen wir es, dass alle in den Videokonferenzen zu Wort kommen? Auch die Leisen und eher Introvertierten, die nicht so sichtbar sind. Und: Wie erleichtern wir es, über persönliche Energie- und Stresslevels zu reden? Eine kleine Maßnahme mit viel Wirkung ist auch das Time Management bei Videokonferenzen. Anfang und Ende der Videokonferenzen nicht immer zur vollen Stunde festlegen, sondern fünf, zehn oder 15 Minuten Pause dazwischen erlaubt den nötigen Freiraum, mal einen Kaffee zu holen oder sich zu bewegen, beziehungsweise mal an die frische Luft zu gehen.
Führungskräfte erschienen in dieser Zeit auf einmal sehr nahbar. Viele hatten mit Homeoffice & Homeschooling zu kämpfen, hielten Videokonferenzen aus dem heimischen Wohnzimmer ab. Und da entstand der Eindruck: Wir sitzen alle in einem Boot. Wie war das bei LinkedIn?
Barbara Wittmann: In einem weltweiten Leadership-Meeting hatten wir darüber diskutiert, was wir als Führungskräfte aus der Pandemie mitnehmen. Was hat die Zeit mit uns gemacht, was haben wir gelernt? Da ging es genau um den Punkt, den Sie erwähnt haben. Einerseits war man distanzierter, weil man sich nicht persönlich getroffen hat. Aber ich war trotzdem dran am persönlichen Leben der anderen im Team. Wir sind näher zusammengerückt. Und wir haben öfter bewusst auch über eher persönliche Themen gesprochen. Weil es klar war, dass das Bedürfnis der Teammitglieder da war, aber auch die Zugehörigkeit zu einem Team sehr wichtig war und ist, und ganz besonders wertgeschätzt wurde.
Wie kann man denn dieses Gefühl der Nähe mitnehmen in die Zeit nach Corona?
Barbara Wittmann: In Gesprächen mit HR-Führungskräften kommt oft genau diese Frage. Welche Folgen hat Corona auf die Unternehmenskultur, welche Folgen hat hybrides Arbeiten und wie sieht eine gute Führungskultur in einer hybriden Arbeitsumgebung aus? Welche Fähigkeiten brauchen Führungskräfte jetzt? Welche Erwartungen haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Wir haben viele unserer Annahmen über Bord geworfen. Was wir uns bewahren sollten, ist die Bereitschaft, nachzufragen, offen zu sein für Feedback und Anregungen. Also, nicht einfach zu sagen „jetzt können wir es ja wieder so machen wie vor der Pandemie“. Es soll weiterhin möglich sein, über persönliche Dinge zu reden, auch über mehrere Hierarchieebenen hinweg. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen sich zutrauen, Wünsche zu äußern, etwa zur beruflichen Weiterentwicklung. Mut, Offenheit und Transparenz in der Kommunikation würde ich sehr begrüßen und dass wir das in eine „Mitarbeiterfeedbackkultur“ übernehmen können.
So manche Unternehmen würden jetzt gerne in die Vor-Corona-Zeit zurückschalten.
Barbara Wittmann: Die Frage lautet: „Welche Talente gewinnen diese Unternehmen in der Zukunft?“ Es gibt sicherlich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die diese Entwicklung gut finden würden. Allerdings ist nicht jedes Konzept für alle das richtige. Es ist wichtig, eine Vielfalt zu ermöglichen. Stichwort „Diversität“. Das bedeutet auch die Möglichkeit, die Arbeit nach eigenen Vorstellungen zu bestimmen. Flexibilität und Offenheit wird von den Unternehmen erwartet. Die besten Talente können sich den Job aussuchen, vor allem dort, wo digitale Skills zählen. Da wird es wichtig werden, diese Talente durch vielfältige Angebote an die Unternehmen binden zu können.
Talente binden – das ist ein sehr aktuelles Stichwort. In scheinbar recht vielen Unternehmen hat es damit in der Krise nicht so recht geklappt. Deren Talente sind auf der Suche. Umfragen bestätigen eine ausgesprochen hohe Wechselbereitschaft. Nehmen Sie das auch so wahr?
Barbara Wittmann: In der Tat scheint ein Nachdenken eingesetzt zu haben: „Wie will ich arbeiten und in welchem Unternehmen?“ Das sehen wir auch in den Beiträgen auf LinkedIn. Schon zu Beginn der Krise war zu beobachten, dass Talente den Wunsch äußerten: „Ich möchte in einem Unternehmen arbeiten, das die Mitarbeiterinnen / Mitarbeiter gut behandelt“. Ich glaube, dass die Talente dies mittlerweile intensiver reflektieren, und nun Entscheidungen treffen, die sie so vorher nicht getroffen hätten. Und dies wirkt sich auch auf die Unternehmen aus. Wir sehen auf der Plattform nun häufiger Unternehmen, die eindeutig schildern, welche Werte ihnen wichtig sind, was sie aus der Krise gelernt haben und wie sie sich in Zukunft das hybride Arbeiten vorstellen.
Ich habe den Eindruck, dass sich HR teilweise nach den großen Leistungen während der Pandemie wieder in die Komfortzone zurückzieht. Wie sehen Sie das?
Barbara Wittmann: Das ist schwer zu generalisieren. Ich glaube, dass viele Führungskräfte aus dem Nicht-HR-Bereich erkannt haben, wie wichtig HR ist. Aber die Arbeit beginnt jetzt erst. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erwarten hybride Arbeitsmodelle. Ich denke nicht, dass man diese Entwicklung zurückdrehen kann. Wir haben im letzten Jahr bewiesen, dass Change-Prozesse nicht lange brauchen müssen. Viele Unternehmen haben das in zwei Wochen hinbekommen. Zu sehen, wie schnell Veränderungen möglich sind – das erhöht die Erwartungshaltung der Kolleginnen und Kollegen. Gerade im Bereich Skills und Digitalisierung ist noch einiges zu tun und ich glaube nicht, dass viele Unternehmen jetzt einen Gang zurückschalten wollen, beziehungsweise können. Der Wettbewerb um Talente ist groß – und diese sind mobil.
Das Interview führte Helge Weinberg, Herausgeber des HR JOURNAL.
Barbara Wittmann ist als Country Manager DACH für das Gesamtgeschäft von LinkedIn in Deutschland, Österreich und der Schweiz verantwortlich. Darüber hinaus leitet sie seit 2016 den Geschäftsbereich Talent Solutions und ist mit ihrem Team Ansprechpartnerin für die Lösungen von LinkedIn in den Bereichen Personalgewinnung, Weiterbildung und Mitarbeiterengagement. Zuvor war Frau Wittmann Senior Vice President of Sales & Operations bei ImmobilienScout 24 und hatte verschiedene Führungspositionen bei Dell inne.