In einem sich wandelnden Medienumfeld steht die Fachpresse vor großen Herausforderungen – und mit ihr die PR. Welche Rolle spielen Fachmedien im B2B-Kommunikationsmix? Wie könnte die PR ihre Zielgruppen ohne den Weg über die Fachpresse erreichen? Alena Kirchenbauer im Gespräch mit dem HR JOURNAL über die Zukunft der B2B-Kommunikation und Reichweitenstrategien.
Die Zukunft der Medien gestaltet sich „anspruchsvoll“ – und damit für alle, die auf Reichweite via Fachpresse setzen. Denn KI (Künstliche Intelligenz) verändert alles, was uns lieb und wichtig ist – vor allem die Reichweite. Aber auch die Inhalte sind betroffen und nicht zuletzt das Selbstverständnis der Medien. Im Tracking des HR JOURNAL finden sich seit einiger Zeit Verweise auf perplexity.ai und Microsoft Copilot. Google dürfte sehr bald seine Suche auf Google SGE (Search Generative Experience) umstellen (1). Als Sahnehäubchen kommen die einbrechenden Reichweiten in Social Media hinzu.
Reichweite ist deshalb ein wichtiges Thema in unserem Gespräch mit Alena Kirchenbauer. Zudem sprechen wir darüber, wie sie mit der Fachpresse zusammenarbeitet und was ein gutes Fachmedium auszeichnet. Nicht ganz uneigennützig haben wir sie gefragt, wie sich Medienberichterstattung finanzieren lässt und wie die Zusammenarbeit zwischen PR und Fachpresse zum gegenseitigen Nutzen gestärkt werden kann.
Zur Person: Alena Kirchenbauer
Alena Kirchenbauer ist Team Leader International Communication bei der Rutronik Elektronische Bauelemente GmbH. Darüber hinaus ist sie Lehrbeauftragte an der Hochschule Pforzheim und der Hochschule der Medien in Stuttgart. Im Vorstand der DPRG-Landesgruppe Baden-Württemberg engagiert sie sich für den Austausch zwischen PR-Praxis und Forschung.
Das Interview ist ein erster Versuch unsererseits, die jetzigen Veränderungen aus Medien- und PR-Sicht zu „umkreisen“ und von allen Seiten zu beleuchten. Fangen wir an.
Sie haben eine Doppelrolle: Sie sind Teamleiterin International Communication bei Rutronik und Sie lehren als Dozentin an der Hochschule der Medien in Stuttgart und der Hochschule Pforzheim. Sprechen wir doch erst einmal über die Praxis. Welche Rolle spielt die Fachpresse in der Kommunikation Ihres Unternehmens?
Alena Kirchenbauer: Die Medienarbeit und insbesondere die Zusammenarbeit mit und die regelmäßige Information von Redakteurinnen und Redakteuren der Fachmedien ist eine wichtige Säule der B2B-Kommunikation. Sie steht als Möglichkeit der Zielgruppenansprache neben den eigenen Medienkanälen und Plattformen wie Website, Newsletter und Social-Media-Auftritten. Mit Blick auf die Marketing-Kommunikation kommen ergänzend Paid-Formate hinzu.
Wie arbeiten Sie konkret mit den Fachmedien zusammen?
Alena Kirchenbauer: Die Zusammenarbeit ist je nach Thema vielfältig. Wir informieren regelmäßig über Produkt- und Technologieneuheiten, klassisch in Form von Medieninformationen. Wenn wir mit Medienvertretern über mögliche Themen ins Gespräch kommen und es um die zu veröffentlichenden Kommunikationsformate geht, dann reicht das vom Fachartikel der Kolleginnen und Kollegen aus unseren Fachbereichen über mündliche Interviews, die von der Redakteurin oder dem Redakteur verschriftlicht werden, bis hin zu kürzeren Textsorten. Gerade letztere, angereichert mit Bildergalerien oder Videos, sind dann vor allem auch für die Online-Kanäle der Fachmedien interessant.
„Der Austausch mit Fachmedien ist sehr bereichernd.“
Was zeichnet aus Ihrer Sicht ein gutes Fachmedium aus?
Alena Kirchenbauer: Meiner Erfahrung zufolge bringen die Redakteurinnen und Redakteure der Fachmedien eine sehr hohe Expertise und die meisten schon viele Jahre Erfahrung in der redaktionellen Arbeit mit, oft auch für Fachmedien einer ganz bestimmten Branche. Der Austausch ist daher sehr bereichernd. Im Gespräch zeigt sich dann sehr schnell, welche aktuellen Themen rund um Entwicklungen und technologische Neuheiten für die jeweilige Redaktion in welchem Format interessant sein könnten. Und auch wir erfahren durch diesen Austausch, welche Themen wiederum bei den Leserinnen und Lesern gerade gefragt sind. Ich erlebe diese Zusammenarbeit daher als Win-Win-Situation.
Wie hat sich Ihrer Meinung nach die Rolle der Fachpresse in der B2B-Kommunikation in den letzten Jahren entwickelt?
Alena Kirchenbauer: Was sich für die Unternehmen verändert hat, ist die Vielfalt der Kommunikationsplattformen und -kanäle, die ihnen heute zur Verfügung stehen. Insbesondere Online- und Social-Media-Kanäle ermöglichen eine direkte Ansprache der Zielgruppen. Im B2B-Kommunikationsmix sind Fachmedien daher eine Möglichkeit und nicht mehr für alle eine Notwendigkeit.
Im B2B-Kommunikationsmix sind Fachmedien eine Möglichkeit und nicht mehr für alle eine Notwendigkeit.
Von PR-Agenturen kommt nur hin und wieder die Frage nach unserer Reichweite. Wenn ich aber mit dem Marketing oder dem Vertrieb spreche, kann ich darauf wetten, dass die Reichweite an erster Stelle steht. Und dabei geht es ganz klar um die quantitative Reichweite. Die Relevanz für eine bestimmte Zielgruppe ist immer zweitrangig. Wie sehen Sie das in Ihrem Unternehmen?
Alena Kirchenbauer: Dass die quantitative Reichweite im Vordergrund steht, ist nach meiner Beobachtung oft auch eine Folge des stark auf monetäre Kennzahlen ausgerichteten Controllings in den Unternehmen. Grundsätzlich ist es wichtig, dass wir uns in der PR mit Evaluation und Controlling auseinandersetzen. Denn es geht natürlich darum, die Sprache des Managements zu sprechen und aufzuzeigen, welchen Wertschöpfungsbeitrag die Unternehmenskommunikation leistet.
Noch besser ist es natürlich, wenn wir nicht nur messbare, sondern möglichst konkrete Kommunikationsziele formulieren und diese im Reporting berücksichtigen. Genau hier kommen wir zum zweiten Punkt der Frage. Denn dann ist natürlich auch interessant, wie passgenau ich die gewünschte Zielgruppe über einen bestimmten Kommunikationskanal erreiche. Daran muss sich ein Kommunikationskanal – sei es ein Fachmedium oder auch ein „eigener“ Kommunikationskanal des Unternehmens – immer messen lassen.
Eine hohe quantitative Reichweite wird in Zukunft immer schwieriger zu erreichen sein, so meine These. Dafür sprechen verschiedene Gründe, unter anderem die veränderten Algorithmen in den sozialen Netzwerken. Qualität sollte daher (endlich) das entscheidende Kriterium für PR und Marketing sein. Wie sehen Sie das – und wie sieht die PR-Lehre das?
Alena Kirchenbauer: Im Sinne „SMART“ definierter Kommunikationsziele ist nicht nur entscheidend, wie hoch die Auflage einer Fachzeitschrift ist oder wie viele (Unique) Visitors die Website des Fachmediums hat, sondern auch, wie sich die Zielgruppe des Mediums zusammensetzt. Hier geht es dann in der B2B-Kommunikation vor allem auch um die Branchenzugehörigkeit und die Funktionen der Leser- bzw. Followerschaft. Für mich ist es auch eine Qualität eines Fachmediums, wenn diese Informationen zur Zielgruppe im Mediakit kommuniziert bzw. auf Anfrage zur Verfügung gestellt werden.
Je nach Thema ist also abzuwägen, welcher Kanal gewählt wird bzw. wie auch verschiedene Kanäle optimal zusammenspielen können. In der PR-Praxis und -Lehre spielt diese Orientierung an den Zielgruppen und den für sie relevanten Themen eine entscheidende Rolle. Eine Aufgabe der Fachmedienarbeit ist es daher, die dafür notwendigen Informationen und Materialien zusammenzustellen bzw. deren Bereitstellung zu koordinieren.
„In der B2B-Kommunikation geht es vor allem auch um die Branchenzugehörigkeit und die Funktionen der Leser- bzw. Followerschaft.“
Medienberichterstattung sollte auf keinen Fall bezahlt werden – das scheint immer noch das Credo in der PR zu sein. Wir haben doch so tollen Content, das hören wir immer wieder. Wie kann die Zusammenarbeit zwischen PR und Fachpresse zum gegenseitigen Nutzen gestärkt werden?
Alena Kirchenbauer: Ich sehe das als ein Geben und Nehmen. Wenn ich als Unternehmen ein wirklich spannendes Thema habe und ein Exklusivitätsversprechen auch aus Sicht des Medienvertreters einen Vorteil darstellt, dann kann das eine Form sein. Aber man muss natürlich auch sehen, wie sich die Medien finanzieren. Das sind neben Abonnements von Fachzeitschriften auch Werbeeinnahmen.
Einerseits stelle ich fest, dass viele unserer Kolleginnen und Kollegen mit Aufgaben in der Produktentwicklung und im Produktmanagement selbst zur Leserschaft der Fachmedien zählen, mit welchen wir in der Medienarbeit zusammenarbeiten. Zum anderen sind im Sinne crossmedialer Kommunikationskampagnen auch flankierende Buchungen in den entsprechenden Fachmedien üblich und das ist dann sehr häufig abgestimmt auf aktuelle Ereignisse wie durch die Marketing-Kommunikation begleitete Produktlaunches und anstehende Fachmessen.
Eine keineswegs hypothetische Frage: Wie könnten Sie Ihre Zielgruppen erreichen, wenn es die Fachpresse nicht mehr gäbe? Welche Alternativen würden sich anbieten?
Alena Kirchenbauer: Die enorme Vielfalt der Kommunikationskanäle habe ich bereits beschrieben. Die Herausforderung besteht jedoch darin, Zielgruppen zu erreichen, die das Unternehmen (noch) nicht kennen. Ohne Fachmedien bliebe dann neben der Suchmaschinenoptimierung noch der Weg über bezahlte Kommunikationsmaßnahmen wie SEA (Search Engine Advertising), Sponsored Posts und bezahlte Kooperationen.
„Die Herausforderung besteht darin, Zielgruppen zu erreichen, die das Unternehmen (noch) nicht kennen.“
Welche Tipps würden Sie Ihren PR-Studierenden für den Umgang mit der Fachpresse geben?
Alena Kirchenbauer: Lassen Sie sich von den komplexen und erklärungsbedürftigen Themen der B2B-Technologie- und Innovationskommunikation nicht abschrecken. Denn die Themenvielfalt bleibt abwechslungsreich und viele Entwicklungen, die in einigen Jahren auch unseren Alltag durchdringen werden, zeichnen sich gerade bei den Themen der Technologie- und Innovationskommunikation schon heute ab.
(1) Als Termin für die Umstellung auf Google SGE wird im Internet der 14. Mai genannt. Eine offizielle Ankündigung liegt uns nicht vor.
Das Interview führte Helge Weinberg, Herausgeber HR JOURNAL.
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Dr. Alena Kirchenbauer ist Team Leader International Communication bei der Rutronik Elektronische Bauelemente GmbH. Im Vorstand der DPRG-Landesgruppe Baden-Württemberg setzt sie sich als Beisitzerin für den Austausch zwischen PR-Praxis und -Forschung ein. Sie ist außerdem Lehrbeauftragte an der Hochschule Pforzheim und der Hochschule der Medien in Stuttgart.