Immer wieder kommt es bei Krankschreibungen zu Streitigkeiten. Arbeitsrechtlerin Rebekka De Conno schildert, worauf Unternehmen achten sollten.
Krankschreibungen sind immer eine ärgerliche Angelegenheit. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fallen aus, Unternehmen sind weniger effizient, und die Kosten des Arbeitsplatzes laufen ohne Gegenleistung auf. Wurde bisher eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eingereicht, hatten Unternehmen der Regel kaum eine Handhabe, auch wenn erhebliche Zweifel an der Erkrankung bestanden. Denn die vom Arzt ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist nur schwer angreifbar.
Krankschreibung nach einer Kündigung
Doch Ausnahmen bestätigen die Regel. Einen solchen Fall hat das Bundesarbeitsgericht kürzlich verhandelt (Urteil vom 8. September 2021, Az.: 5 AZR 149/21; Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 13. Oktober 2020, Az.: 10 Sa 619/19). Dabei geht es um die Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.
Die Kurzfassung laut Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts lautet: Kündigt ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis und wird er am Tag der Kündigung arbeitsunfähig krankgeschrieben, kann dies den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung insbesondere dann erschüttern, wenn die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst. Das bedeutet: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die direkt nach einer Kündigung eine Krankschreibung vorlegen und der Arbeit bis zum Auslaufen der Kündigungsfrist fernbleiben, können nach einem Gerichtsurteil nicht automatisch mit einer Gehaltsfortzahlung rechnen.
Bei Beweiserschütterung Nachweispflicht von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
Im Streitfall hatte eine gekündigte kaufmännische Angestellte direkt nach der Kündigung eine auf den Kündigungstag ausgestellte Erstbescheinigung gekennzeichnete Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt. „Die Beklagte verweigerte die Entgeltfortzahlung. Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei erschüttert, weil diese genau die Restlaufzeit des Arbeitsverhältnisses nach der Eigenkündigung der Klägerin abdecke“, schreibt das Bundesarbeitsgericht. Die Klägerin hatte demgegenüber geltend gemacht, sie sei ordnungsgemäß krankgeschrieben gewesen und habe vor einem Burn-Out gestanden. Die Vorinstanzen hatten der auf Entgeltfortzahlung für die Zeit vom 8. Februar bis zum 22. Februar 2019 gerichteten Zahlungsklage stattgegeben.
Die vom Senat nachträglich zugelassene Revision des beklagten Unternehmens hatte schließlich Erfolg. „Die Klägerin hat die von ihr behauptete Arbeitsunfähigkeit im Streitzeitraum zunächst mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen. Diese ist das gesetzlich vorgesehene Beweismittel. Dessen Beweiswert kann der Arbeitgeber erschüttern, wenn er tatsächliche Umstände darlegt und ggf. beweist, die Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit geben. Gelingt das dem Arbeitgeber, muss der Arbeitnehmer substantiiert darlegen und beweisen, dass er arbeitsunfähig war“, betont das Bundesarbeitsgericht in seiner Pressemitteilung zur Sache.
Die Koinzidenz zwischen der Kündigung vom 8. Februar zum 22. Februar 2019 und der am 8. Februar bis zum 22. Februar 2019 bescheinigten Arbeitsunfähigkeit habe einen ernsthaften Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit begründet. Die Klägerin sei im Prozess ihrer Darlegungslast zum Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit – auch nach Hinweis des Senats – nicht hinreichend konkret nachgekommen.
Wenn Umstände dargelegt werden können, die Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit geben, sollten Unternehmen versuchen, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern. Dann sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Zug, die Arbeitsunfähigkeit zu beweisen, was in der Regel durch die Vernehmung des behandelnden Arztes nach entsprechender Befreiung von der Schweigepflicht erfolgt.
Drohung der Krankschreibung kann fristlose Kündigung rechtfertigen
In einem anderen Verfahren hat das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 4. Mai 2021, Az.: 5 Sa 319/20) dargelegt, dass die Drohung, sich krankschreiben zu lassen, eine schwerwiegende Verletzung der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht darstellt. Diese Pflichtverletzung kann eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Dennoch kann die Interessenabwägung auch zugunsten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ausgehen.
Im streitigen Sachverhalt drohte eine Arbeitnehmerin aufgrund der Einteilung zur Spätschicht mit einer Krankschreibung. Sie begründete dies unter anderem mit Spannungen mit ihren Kolleginnen / Kollegen an und lies sich nach der Einteilung für den Spätdienst wegen einer „depressiven Episode“ krankschreiben und kündigte schließlich ordentlich. Daraufhin erklärte die Arbeitgeberin die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses unter Bezugnahme auf die angedrohte Krankschreibung.
Unberechtigte Entgeltfortzahlungen können rückgefordert werden
Die Arbeitnehmerin erhielt im Rahmen ihrer Kündigungsschutzklage recht. Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist die außerordentliche Kündigung unter Abwägung der wechselseitigen Interessen unverhältnismäßig gewesen. Grundsätzlich stellt der Verstoß der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht laut Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern somit einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar. Das liegt auf der Linie der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.
Aber in dem konkreten Fall wäre beiden Parteien eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ende der gesetzlichen Kündigungsfrist von rund vier Wochen noch zumutbar gewesen. Damit ist eine außerordentliche Kündigung bei Androhung einer Krankschreibung abhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls, zu denen auch innerbetriebliche Konflikte gehören können.
Folgen von Krankschreibungen für die Entgeltfortzahlung
Ebenfalls interessant ist für Unternehmen die Möglichkeit, zu viel gezahlte Leistungen bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zurückzufordern (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 31. März 2021, Az.: 5 AZR 197/20), wenn die Voraussetzungen des Entgeltfortzahlungsanspruchs nicht beziehungsweise nicht mehr vorlagen. Laut BAG-Urteil unterfällt diese Rückforderung für in unberechtigter Weise erhaltene Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall unter Umständen keiner zeitlichen Befristung. Der Rückzahlungsanspruch bei Überbezahlung ist nach dieser Entscheidung im Sinne der tariflichen Ausschlussfrist erst fällig, wenn der Arbeitgeber positive Kenntnis davon hat, dass eine Fortsetzungserkrankung vorliegt und deswegen keine Pflicht zur Entgeltfortzahlung bestanden hätte.
Es besteht jedoch in der Regel keine Obliegenheit der Unternehmen, zur Wahrung einer Ausschlussfrist über das Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung Erkundigungen einzuholen. Dies soll jedoch dann nicht gelten, wenn Unternehmen Kenntnis von Umständen hatten, aus denen sich konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die neuerliche Krankheit von Arbeitnehmerinnen / Arbeitnehmern auf denselben Krankheitsursachen wie eine vorausgehende Erkrankung beruht, durch die der Entgeltfortzahlungszeitraum bereits erschöpft ist.
Mit dieser Entscheidung sollten sich Unternehmen auseinandersetzen, um keine teuren Versäumnisse zu begehen und die Folgen von Krankschreibungen für die Entgeltfortzahlung abschätzen zu können.
Rebekka De Conno, LL.M., Fachanwältin für Arbeitsrecht, ist angestellte Rechtsanwältin der multidisziplinären Kanzlei WWS-Gruppe mit Standorten in Mönchengladbach, Aachen und Nettetal am Niederrhein. Die WWS-Gruppe berät Unternehmer und Unternehmen bei sämtlichen relevanten Fragenstellungen aus Steuerrecht und Wirtschaftsprüfung und erbringen hochwertige Rechtsdienstleistungen für Unternehmen und Private Clients. Weitere Informationen unter www.wws-gruppe.de