Von Reaktiv zu Aktiv: Die Recruiting-Organisation muss datenbasiert und strategisch agieren, um die aktuellen Arbeitsmarktbedingungen zu meistern. Michael Witt von Lebenswelt Recruiting stellt fünf zentrale Strategien für einen erfolgreichen Transformationsprozess vor.
Bislang reagiert Recruiting, anstatt zu agieren: Die Bewerbungen bleiben aus? Dann bricht Aktionismus aus: Noch mehr Stellenanzeigen, intensivere Beatmung der Social-Media-Kanäle, Active Sourcing – was eben kurzfristig angeleiert werden kann.
Maßnahmen, die unter den aktuellen Arbeitsmarktbedingungen immer seltener zum Erfolg führen. Allein weil die Rahmenbedingungen nicht passen: Dem Arbeitsmarkt in Deutschland fehlen zunehmend die Arbeitskräfte. Zwei Millionen waren es 2023 – Tendenz steigend. Wer dem eigenen Unternehmen auch in Zukunft die dringend benötigten Mitarbeiterinnen / Mitarbeiter sichern will, muss im Recruiting umschalten. Von Reagieren auf Agieren. Recruiting muss sich transformieren zu einer datenbasiert und strategisch handelnden Organisation. Und in diesem Transformationsprozess führen fünf Schlüsselstrategien zum Erfolg.
1. Inklusive Planung: Alle Stakeholder einbinden
Alle Stakeholder müssen in die Planung eingebunden werden: vom Management, über die Teams im Recruiting und Hiring bis hin zu den Fachabteilungen. So entsteht ein gemeinsames Verständnis für die Ziele und Wege der Transformation. Dies führt zu einer höheren Motivation und einem stärkeren Zusammenhalt in der Organisation, was für den Erfolg des Transformationsprojekts von entscheidender Bedeutung ist.
Eine erfolgreiche Transformation beginnt also mit inklusiver Planung. Dabei ist es ratsam, über klassische Projektmanagement-Methoden hinauszugehen und interaktive Formate einzubinden, die das gesamte Team involvieren. Erfolgreiche Unternehmen setzen auf regelmäßige Workshops und Co-Creation-Sessions. Diese „Mitmachformate“ erweisen sich oft als Quelle für innovative Ideen und fördern das Engagement und die Akzeptanz für den Veränderungsprozess.
2. Eine dynamische Kommunikationsarchitektur schafft Transparenz
Eine klare und effektive Kommunikation bildet das Rückgrat jeder erfolgreichen Transformation. Wichtig ist die Entwicklung einer „Kommunikationsarchitektur“, die präzise definiert, wo welche Informationen zu finden sind, wer wann welche Informationen erhält und was als „Holschuld“ bzw. „Bringschuld“ gilt. Diese klare Struktur hilft, Informationssilos abzubauen und einen reibungslosen Informationsfluss zu gewährleisten.
Ergänzend dazu haben sich regelmäßige Reviews und Retrospektiven bewährt. Diese Formate ermöglichen es, den Fortschritt zu überprüfen, aus Erfahrungen zu lernen und die Kommunikationsprozesse kontinuierlich anzupassen. Die dadurch geschaffene Offenheit und Transparenz tragen maßgeblich zum Vertrauen im Team und zum Erfolg des Projekts bei.
3. Zuerst auf das Kernproblem fokussieren
In Transformationsprozessen besteht oft die Versuchung, alle Probleme gleichzeitig angehen zu wollen. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass eine gezielte Fokussierung auf das Hauptproblem wesentlich effektiver ist. Dies könnte beispielsweise der Bedarf an einer neuen Organisationsstruktur oder an fundiertem Recruiting-Wissen in der Organisation sein. Erfolgreiche Transformationsprojekte beginnen damit, dieses zentrale Problem zu identifizieren.
Der positive Effekt dieser Strategie: Anstatt sich in zahlreichen Baustellen zu verzetteln, konzentrieren Teams ihre Energie und Ressourcen auf diesen Kernbereich. Diese Fokussierung erweist sich oft zudem als entscheidender Wendepunkt: Schnell messbare Fortschritte stärken das Vertrauen der Mitarbeitenden in den Veränderungsprozess und dienen als Katalysator für weitere Verbesserungen.
4. Auswirkungen auf die Mitarbeitenden ganzheitlich betrachten
Ein erfolgreicher Transformationsprozess berücksichtigt die Effekte auf Individuen, Teams und die Gesamtorganisation. Bei der Einführung neuer Strategien oder Tools, wie etwa eines strategischen Recruiting-Kanalportfolios, ist es wichtig, nicht nur die operativen Vorteile zu betrachten. Erfolgreiche Unternehmen analysieren auch, wie es die Arbeit einzelner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beeinflusst, welche Anpassungen auf Teamebene notwendig sind und wie es Organisationsstruktur und -kultur verändert.
Dieser umfassende Blick ermöglicht es zum Beispiel, gezielt Schulungen anzubieten, Teamstrukturen anzupassen oder die Organisationskultur behutsam in Richtung einer datengetriebenen Arbeitsweise zu lenken. Durch diese ganzheitliche Betrachtung können potenzielle Herausforderungen frühzeitig erkannt und geeignete Unterstützungsmaßnahmen eingeführt werden.
5. Messen nicht vieler, sondern der richtigen Kennzahlen
In einer datengetriebenen Recruiting-Organisation ist die kontinuierliche Verbesserung der Leistungsmessung unerlässlich. Ich rate davon ab, von Beginn an alle möglichen Kennzahlen zu tracken. Stattdessen empfiehlt sich die Entwicklung eines flexiblen Systems, das mit dem Projektfortschritt mitwächst.
Zu Beginn des Transformationsprozesses sollten die Teams also wenige, aber aussagekräftige KPIs identifiziert. Im Laufe des Projekts können sie das Tracking-System dann kontinuierlich erweitern und verfeinern. Die gewonnenen Erkenntnisse dienen dazu, Strategien laufend zu optimieren und datenbasierte Entscheidungen zu treffen. Dieser Ansatz ermöglicht es, die Leistung des Recruiting-Teams präzise zu messen und kontinuierlich zu verbessern.
Auf dem Weg zu einer agilen und leistungsfähigen Recruiting-Organisation
Unternehmen, die diese Transformationsstrategien erfolgreich umsetzen, berichten von beeindruckenden Ergebnissen. Verbesserungen in Employer-Rankings, Verdopplung des Bewerbungseingangs sowie der geführten Interviews und Einstellungen sind keine Seltenheit. Diese Erfolge unterstreichen, dass der beschriebene Ansatz nicht nur theoretisch fundiert ist, sondern auch in der Praxis zu messbaren und nachhaltigen Verbesserungen führt.
Die Kombination aus inklusiver Planung, dynamischer Kommunikation, gezielter Problemlösung, ganzheitlicher Betrachtung und kontinuierlicher Verbesserung der Leistungsmessung ermöglicht es Unternehmen, ihre Recruiting-Prozesse grundlegend zu optimieren. Das Resultat ist eine agile, leistungsfähige Recruiting-Organisation, die sowohl den internen Kunden als auch den Bewerbern einen Mehrwert bietet.
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Michael Witt ist Berater für Recruiting-Strategie und Organisationsentwicklung. Seit 2018 selbstständig, begleitet er Unternehmen bei Veränderungsprojekten im Bereich Recruiting und Personalmarketing. Mit über 20 Jahren Erfahrung, darunter 13 Jahre in konzeptionellen und strategischen Rollen sowie über 7 Jahre in leitenden Funktionen, bringt er umfassendes Wissen in die Beratung ein. Er ist Initiator und Veranstalter von Events wie der HR-TecNight und dem Recruiter Slam.