Eigenverantwortung versus Fürsorgepflicht – hier gilt es, eine Balance zu finden. Ein Verantwortungsdialog setzt den Rahmen für das unternehmerische Engagement. Philipp Laemmert und Elisabeth Mertens, Universität Bayreuth, geben eine Einordnung, wie Unternehmen das Thema psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angehen sollten.
Das Arbeitsumfeld spielt eine entscheidende Rolle für die Gesundheit und das Wohlbefinden von Individuen. Die Zahlen für psychische Belastungen, Stress oder Fehltage aufgrund psychischer Belastungen sind stetig steigend (Badura et al., 2023). Was können Organisationen tun, damit Mitarbeitende bestmögliche Arbeit leisten können und dabei psychisch gesund bleiben? Welche Rolle sollten Organisationen in diesem Kontext übernehmen?
Die Studie zielte darauf ab, die Rolle und Verantwortung von Organisationen bei der Förderung der psychischen Gesundheit (auch außerhalb des Arbeitskontextes) zu klären, den Handlungsspielraum für entsprechende Maßnahmen zu erörtern, Grenzen für den Einfluss auf die Gesundheit der Arbeitnehmenden zu definieren und schließlich Handlungsempfehlungen abzuleiten. Dabei wurde ein salutogenetischer Ansatz zur Erklärung von Gesundheit zu Grunde gelegt, der den Fokus der Gesundheitsförderung auf die Stärkung von Ressourcen zur Bewältigung von Anforderungen legt (Becker, 2006; Bakker & Demerouti, 2017).
Die empirische Methode bestand aus sieben Tiefeninterviews, die sich mit Aspekten und Dimensionen der psychischen Gesundheitsförderung in Organisationen beschäftigen. Durch die Auswahl von Interviewpersonen mit psychologischem, psychotherapeutischem und organisationsberaterischem Hintergrund wurde ein umfassender Einblick gewährleistet.
Schlüsselerkenntnisse
Fünf Schlüsselerkenntnisse lassen sich aus den Interviews ableiten:
1. Die zentrale Rolle von Organisationen:
Organisationen sollten sich ihrer Rolle und Haltung klar werden, wie sie mit dem Thema psychische Gesundheit umgehen wollen. Dazu müssen Organisationen ihre eigene Rolle kritisch reflektieren und sich bewusst mit ihrer Positionierung auseinandersetzen. Organisationen tragen eine gewisse Verantwortung bei der Förderung der psychischen Gesundheit ihrer Mitarbeitenden.
Die beträchtliche Zeit, die Menschen am Arbeitsplatz verbringen, sowie die Bedeutung der beruflichen Identität unterstreichen die herausragende Position von Organisationen. Dabei wird die psychische Gesundheit von den Expertinnen und Experten als mehrschichtig und holistisch betrachtet, indem es nicht nur um das Fehlen von Krankheitssymptomen, sondern um ein umfassendes Wohlbefinden auf verschiedenen Ebenen geht. Dadurch wird betont, dass die Förderung der psychischen Gesundheit nicht nur darauf abzielt, Belastungen zu minimieren, sondern auch darauf, welche Ressourcen Menschen trotz Risiken gesund erhalten können.
2. Mitverantwortung für das Wohlbefinden der Mitarbeitenden und deren Familien:
Organisationen brauchen einen Verantwortungsdialog in Bezug auf das Thema Förderung psychischer Gesundheit. Zu klären gilt: Welche Verantwortung wollen und können wir in Bezug auf die Förderung psychischer Gesundheit übernehmen und wie wollen wir das leben? Damit besteht ein klarer Auftrag zur Förderung und Prävention psychischer Gesundheit.
Dabei verdeutlichen die Ergebnisse die Notwendigkeit für Organisationen, einen ausgewogenen Ansatz zu finden, der die Privatsphäre respektiert, aber gleichzeitig indirekte Unterstützungsmöglichkeiten für die psychische Gesundheit der Mitarbeitenden bereitstellt. Akzeptanz, Anerkennung und offene Kommunikation spielen dabei eine zentrale Rolle.
3. Kritische Balance zwischen individueller Verantwortung und organisationaler Fürsorge:
Obwohl betont wird, dass jedes Individuum eine gewisse Verantwortung für die eigene psychische Gesundheit trägt, wird gleichzeitig darauf hingewiesen, dass eine alleinige Fokussierung auf die individuelle Verantwortung als prekär anzusehen ist. Organisationen müssen eine ausgewogene Balance zwischen Respektierung der Eigenverantwortung und der organisationalen Fürsorgepflicht finden.
Ebenso erfordert es eine sensible Balance zwischen Unterstützung und Respektierung der individuellen Entscheidungsfreiheit, um Übergriffigkeit, Diskriminierung und andere negative Auswirkungen zu vermeiden. Organisationen sollten passende Ressourcen bereitstellen, die Mitarbeitende selbstbestimmt nutzen können.
4. Schlüsselrolle von Führungs- und Vorstandspositionen:
Organisationen sollten sicherstellen, dass Personen in Führungs- und Vorstandspositionen durch ihren Führungsstil und ihre Unterstützung zur Schaffung einer gesundheitsförderlichen Organisationskultur beitragen. Dafür können Organisationen unter anderem Schulungen mit dem Ziel der Kompetenzvermittlung sowie ein ausgereiftes Fortbildungsmanagement bereitstellen.
Der Führungsstil, die Unterstützung und die Schaffung einer positiven Organisationskultur sind entscheidende Faktoren, um die psychische Gesundheit zu fördern und psychologische Sicherheit zu schaffen: Mitarbeitende sollten sich frei fühlen, ihre Gedanken, Ideen und Meinungen ohne Angst vor negativen Konsequenzen auszudrücken.
5. Ganzheitliche Perspektive auf gesunde Organisationen:
Organisationen sollten das Thema der psychischen Gesundheit ganzheitlich betrachten und den Fokus nicht nur auf konkrete Maßnahmen, sondern vor allem eine gesundheitsförderliche Organisationskultur setzen.
Diese Schlüsselerkenntnisse liefern Einblicke in die komplexe Dynamik zwischen Individuum und Organisation sowie in die entscheidende Bedeutung einer vielfältigen Herangehensweise an die Förderung der psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz. Dennoch sind sich alle Expertinnen und Experten einig: Organisationen sind in der Pflicht, für gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen zu sorgen und dem Thema psychische Gesundheit Raum zu schaffen!
Psychische Gesundheit fördern – Empfehlungen
Die direkten Empfehlungen orientieren sich an den zuvor identifizierten Anforderungen und Ressourcen. Konkrete Maßnahmen sollten sich auf lebensphasenorientierte Unterstützungsangebote, Entwicklungsmöglichkeiten, Kompetenzvermittlung und die Förderung sozialer Beziehungen konzentrieren, wozu flexible Arbeitszeiten, Kinderbetreuung und Team-Events gehören können.
Die Ergebnisse betonen jedoch, dass eine sich ständig wandelnde Welt kontinuierliche Analysen erfordert, und dabei eine flexible, an individuelle Herausforderungen angepasste Herangehensweise notwendig ist. Die Organisation und speziell die Führung trägt die Verantwortung für eine Kultur und kann nicht auf Einzelpersonen oder das betriebliche Gesundheitsmanagement abgewälzt werden.
Ein umfassender Kulturwandel erfordert die Beteiligung und Umsetzung von Veränderungen durch alle Teile der Organisation. Die erfolgreiche Umsetzung der Erkenntnisse erfordert hierbei die aktive Unterstützung von Führungs- und Vorstandspositionen sowie eine dauerhafte und nachhaltige Implementierung von Maßnahmen. Zudem ist eine strategische Priorisierung der Mitarbeitergesundheit und eine Fokussierung auf Menschlichkeit bei Veränderungen innerhalb der Organisation entscheidend.
Literatur:
- Badura, B., Ducki, A., Baumgardt, J., Meyer, M., & Schröder, H. (2023). Fehlzeiten-Report 2023: Zeitenwende – Arbeit gesund gestalten. Springer.
- Bakker, A. B., & Demerouti, E. (2017). Job demands–resources theory: Taking stock and looking forward. Journal of Occupational Health Psychology.
- Becker, P. (2006). Gesundheit durch Bedürfnisbefriedigung. Hogrefe.
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Dr. Philipp Laemmert brennt für die Entwicklung gesunder Organisationskulturen. Er begleitet Organisationen und koordiniert das Gesundheitsmanagement der Universität Bayreuth. In Forschung und Lehre widmet er sich der Frage, wie Organisationen gesund und attraktiv gestaltet werden können.
Elisabeth Mertens studierte Lebensmittel- und Gesundheitswissenschaften im Master an der Universität Bayreuth mit dem Schwerpunkt Health Management. Zusätzlich unterstützte sie als studentische Hilfskraft das Gesundheitsmanagement der Universität Bayreuth. Ihre Masterarbeit widmete sie dem Thema der psychischen Gesundheitsförderung in Organisationen.