Die Rolle von HR wird entscheidend sein, wenn es um die Zukunft von Unternehmen geht, sagt Anne M. Schüller im Interview mit dem HR JOURNAL. Die Zukunft meistern: Welche Schritte sollten Unternehmen gehen, damit diese Reise gelingt? Mehr dazu hier.
Die Reise in die Zukunft gelingt nur mit leichtem Gepäck, denn die Märkte schlagen immer neue Haken. Viele Tools aus dem letzten Jahrhundert müssen verschwinden, damit Unternehmen nicht an ihren Strukturen und ihrer Transformationsaversion scheitern. Was also sollten Unternehmen im Gepäck haben? Eine bestimmte Haltung sollte auf jeden Fall dabei sein, empfiehlt Anne M. Schüller. „Was geht denn schon mal?“ – Mit dieser Grundhaltung schaffen sich Unternehmen viele Optionen. Wer so schon in der Gegenwart agiert, ist gut aufgestellt.
Wie Unternehmen erfolgreich die Zukunft meistern, ist das Thema Ihres neuen Buches. Entscheidend für das Handeln in der Zukunft ist es, die jeweils relevanten Trends nicht nur zu erkennen, sondern ihre Auswirkungen auf das Unternehmen zu verstehen. Und daraus Szenarien zu entwickeln. Wie das geht, ohne die Zukunft linear aus Vergangenheit und Gegenwart zu extrapolieren, erklärt Anne M. Schüller im Interview. Und Sie erfahren, wen Sie beim Blick in die fernere Zukunft besser nicht befragen sollten.
In Ihrem neuen Buch geht es nicht nur um Zukunftsfähigkeit, ein Begriff, den man jetzt überall hört, sondern insbesondere darum, wie ein Unternehmen die Zukunft meistern kann. Auf welche Weise kann das gelingen?
Anne M. Schüller: Wer die Zukunft gestalten will, muss zunächst Zukunftsverständnis entwickeln, muss Szenarien erstellen und panikfrei mit ihrer Hilfe erkunden, wie die Welt in fünf, in zehn oder in zwanzig Jahren aussehen könnte. Nicht irgendwann, sondern jetzt müssen wir dann mit den notwendigen Schritten beginnen, um die Zukunft zu meistern.
Wie wir heute durch die Arbeits- und Lebenswelt navigieren und was wir dabei tun oder lassen, entscheidet darüber, wie es uns künftig ergeht. „Was geht denn schon mal?“ sollte dabei unser Grundmodus sein. Für den, der so an die Zukunft herantritt, bietet sie schier unendlich viele Gelegenheiten, mehr zu erreichen und Großes zu schaffen.
Im Wesentlichen sind dabei vier Schritte zu tun.
- Erstens brauchen wir Wissen über die Trends, die die Zukunft prägen werden.
- Zweitens müssen wir darauf aufbauend ein eigenes Zukunftsbild entwickeln.
- Drittens gilt es dann, die organisationalen Voraussetzungen zu schaffen, damit uns
- Viertens mit einem geeigneten Maßnahmenset der Sprung in die Zukunft gelingt.
Wie kommt man denn an Wissen über die Trends, die die Zukunft prägen werden?
Anne M. Schüller: Namhafte Consulting-Firmen, führende Futurologen und Zukunftsforschungsinstitute haben mithilfe wissenschaftlicher Methoden und computergestützter Simulationen Szenarien für eine Vielzahl von Industrien, Märkten und Lebenssituationen entwickelt, die teils sogar kostenlos auf deren Webseiten abrufbar sind. Entscheidend für das weitere Vorgehen ist allerdings, die jeweils maßgeblichen Trends nicht nur zu erkennen, sondern deren Auswirkungen auf das Unternehmen auch zu verstehen.
Wem es um technologische Entwicklungen geht, für den ist der Gartner Hype Cycle von Interesse, der unter anderem den Reifegrad einer jeweiligen Technologie zeigt. Eigene Analysen, vertiefende Online-Recherchen, Insights aus fortschrittlichen anderen Branchen, Videos, Podcasts und Gespräche mit Zukunftsexperten und denen, die die neuen Technologien vorantreiben, bilden eine weitere Grundlage für die Vorausschau.
Wen wir, da es hier um die fernere Zukunft geht, nicht befragen, sind die Kunden sowie, mit Verlaub, die C-Level-Leute im eigenen Haus. Kunden können zwar sagen, was ihnen heute fehlt und was sie morgen besser fänden, aber nicht, was sie in fünf oder zehn Jahren wollen. Sie sind, genauso wie das Top-Management, keine Experten für Zukunftsszenarien und können deshalb auch keine fundierten Prognosen abgeben.
Und wie kann ein Unternehmen sein eigenes Zukunftsbild entwickeln?
Anne M. Schüller: Sind die maßgeblichen Trends und ihre Auswirkungen auf die anvisierten Handlungsfelder gesichtet, werden die Szenarien bestimmt, mit denen man sich ausführlich befassen will. Ich empfehle, drei Szenarien aufzusetzen, und zwar diese:
- ein Beste-aller-Welten-Szenario,
- ein Sehr-wahrscheinlich-Szenario,
- ein Schlimmster-Alptraum-Szenario.
Danach geht es um das Zukunftszielbild des Unternehmens, welche Idealpositionierung es also im gewählten Zukunftsszenario haben will. Daraus wird eine Zukunftsstrategie abgeleitet. Dann werden die Etappenschritte definiert, die nötig sind, um die anvisierten Ziele zu erreichen. Auf diese Weise stolpern Unternehmen nicht länger durch die Umstände getrieben voran, sondern projektieren ihre Zukunft aus der Vorausschau heraus und in einem gesamtheitlichen Kontext.
Um nicht der Gefahr zu erliegen, die Zukunft aus Vergangenheit und Gegenwart heraus linear fortzuschreiben, bedienen wir uns der Retropolation, auch Backcasting oder Regnose genannt. Dabei wird, ausgehend von der beschriebenen Zukunft im Zieljahr, in festgelegten zeitlichen Schritten rückwärtsgehend abgeleitet, was jeweils bis zu einem bestimmten Zeitpunkt getan sein muss, damit die gewünschte Zukunft Wirklichkeit werden kann. Die Frage lautet etwa im Fall eines Fünf-Jahres-Zeitraums: „Wenn wir in fünf Jahren ein Zielbild X erreichen wollen, welche Maßnahmen müssen in vier, drei, zwei, einem Jahr ergriffen worden sein, um dorthin zu gelangen?“
Die Zukunft meistern: Welche Rolle spielt HR bei alldem?
Anne M. Schüller: Damit es einem Unternehmen gelingt, die Zukunft zu meistern, stellen sich zunächst folgende Fragen:
- Ist unsere Organisation strukturell und kulturell auf die Zukunft vorbereitet?
- Welche Produkte, Lösungen und Geschäftsmodelle brauchen wir künftig?
- Welche Mitarbeiterkompetenzen werden vorausschauend benötigt?
Die Reise in die Zukunft gelingt nur mit leichtem Gepäck, weil die Märkte immer neue Haken schlagen. Und je schwerfälliger eine Organisation, desto anfälliger ist sie für Überholmanöver. Für Planzahlspiele, aufwendige Abstimmungsschleifen, Controlling-Exzesse und Irrläufe im internen Vorschriftengeflecht hat niemand noch länger Zeit.
Topdown-Organigramme, Silo-Formationen, herkömmliche Change-Prozesse und viele weitere Tools aus dem letzten Jahrhundert müssen verschwinden, nicht nur in Sonntagsreden, sondern nun endlich auch praktisch. Passiert das nicht, dann, so ist zu befürchten, scheitert ein Großteil der klassischen Unternehmen nicht an den Märkten der Zukunft, sondern an ihren Strukturen und ihrer Transformationsaversion.
Insofern ist aus meiner Sicht die Rolle von HR – ich persönlich spreche ja lieber von People & Culture – die Wichtigste im Unternehmen. Sie ist sogar zukunftsentscheidend. Den Mitarbeitenden in P&C muss es proaktiv gelingen, als tonangebende Umgestalter tätig zu werden, indem sie eine unternehmensstrategische Vorreiterstellung einnehmen.
Welche maßgeblichen Zukunftsaufgaben sehen Sie darüber hinaus?
Anne M. Schüller: Fortan müssen sich Unternehmen zunehmend transfunktional, also über die Unternehmensgrenzen hinweg organisieren, um Knowhow zu bündeln, Marktchancen zu erweitern und kostspielige Technologien gemeinsam zu stemmen. Am attraktivsten aus Kundensicht, und darum geht es ja letztendlich, ist ein digital vernetztes Gesamtangebot, dass jederzeit bequem zu erreichen und individuell gestaltbar ist.
Es wird also nicht länger um einzelne Produkte und isolierte Lösungen gehen, sondern der Anbieter wird fortan erfolgreich sein, der die beste Systemlösung im Rahmen eines Business-Ecosystems bietet. Grundvoraussetzung dafür sind erstens eine strukturell und kulturell getragene interne Komplettvernetzung sowie zweitens ein wahrhaftiges Nachhaltigkeitsmanagement und drittens ein umfassender Ressourcenpool für zukunftstaugliche Innovationen. Auch hierbei kann HR als starker Treiber agieren.
Die Zukunft meistern: Das Buch zum Thema
Anne M. Schüller
Zukunft meistern
Das Trend- und Toolbook für Übermorgengestalter
Gabal Verlag 2024, 232 S., 29,90 €
ISBN: 978-3-96739-181-7
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Anne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenfokussierte Unternehmensführung. Zu diesen Themen hält sie Impulsvorträge auf Tagungen, Fachkongressen und Online-Events. 2015 wurde sie für ihr Lebenswerk in die Hall of Fame der German Speakers Association aufgenommen. Beim Business-Netzwerk Linkedin wurde sie Top-Voice 2017 und 2018. Von Xing wurde sie zum Spitzenwriter 2018 und zum Top Mind 2020 gekürt. Ihr Touchpoint Institut bildet zertifizierte Touchpoint Manager und zertifizierte Orbit-Organisationsentwickler aus.