Hohe Fluktuation, mangelhafte Kommunikation, Versagensängste und Cliquenbildung sind nur einige Anzeichen für ein toxisches Arbeitsumfeld in der IT. Ana Gospodinova, Director Talent Management bei WeAreDevelopers, gibt hier drei Tipps, wie Unternehmen ein Wohlfühlklima fördern können.
Das wichtigste Gut jedes Unternehmens sind seine Mitarbeiterinnen / Mitarbeiter. Trotzdem beobachten oder erleben noch immer viele Entwicklerinnen / Entwickler toxische Verhaltensweisen an ihrem Arbeitsplatz. Eine aktuelle Studie von WeAreDevelopers zeigt, dass 42 Prozent der Entwicklerinnen / Entwickler in Deutschland toxisches Auftreten bei ihrem aktuellen Arbeitgeber miterlebt haben. Ein toxisches Arbeitsumfeld hat spürbare Auswirkungen auf Gesundheit, Motivation und schlussendlich auch auf den Erfolg des Unternehmens.
Unternehmen verlieren wichtige IT-Fachkräfte
Warum ein toxisches Arbeitsumfeld nicht nur ein Problem für die Angestellten ist, sondern auch für die Unternehmen, wird klar, wenn man betrachtet, welche Schlussfolgerungen Entwicklerinnen / Entwickler aus einem toxischen Arbeitsumfeld ziehen. So ist für 30 Prozent eine schlechte Arbeitsatmosphäre einer der wichtigsten Gründe, sich einen neuen Job zu suchen. Sie kündigen, und das in einer Arbeitsmarkt-Situation, in der Unternehmen ohnehin händeringend nach IT-Fachkräften suchen.
Es gibt viele Adjektive, mit denen die IT-Branche beziehungsweise die Menschen, die in ihr arbeiten, gerne beschrieben werden. Eines wird jedoch berechtigterweise selten verwendet – divers. So sind nur 16 Prozent der Angestellten in der Tech-Branche Frauen. Homogene Teams sind nicht nur ungerecht, sondern auch unproduktiv. Sie führen zu Verlusten an Talent, Innovation und Umsatz. Unternehmen sollten daher alles tun, um heterogene Teams zu fördern. Doch auch ein heterogenes Team ist nur so gut, wie seine Arbeitskultur. Denn wie die Studie von WeAreDevelopers zeigt, orientieren sich gerade Entwicklerinnen schnell um, wenn sie sich in Ihrem Arbeitsumfeld unwohl fühlen.
Anzeichen für ein toxisches Arbeitsumfeld
Es ist meist nicht schwierig, festzustellen, ob das eigene Arbeitsumfeld toxisch ist. Dafür reicht es, die Augen zu öffnen und seine Umgebung wahrzunehmen. Es ist ein Gefühl, das in der Luft liegt und sich in vielen unterschiedlichen Anzeichen manifestiert.
1. Hohe Fluktuation
Ein offensichtliches Zeichen, dass innerhalb des Unternehmens etwas nicht stimmt, ist eine hohe Fluktuation der Mitarbeitenden. Wenn alteingesessene Kolleginnen / Kollegen das Team verlassen und auch neu eingestellte Fachkräfte bereits nach wenigen Monaten dem Unternehmen wieder den Rücken zukehren, ist das häufig ein Fall von mangelhafter Führung und einem schlechten Arbeitsumfeld. Für die verbleibenden Entwicklerinnen / Entwickler ist es zusätzlich eine enorme Mehrbelastung, wenn sie jeden Monat neue Kolleginnen / Kollegen einlernen müssen und deshalb mit ihrer eigenen Arbeit nicht hinterherkommen.
2. Mangelhafte Kommunikation
Ob im Privatleben oder auf der Arbeit, schlechte Kommunikation führt zu Stress, Streit und Sorgen. Mangelt es an Abstimmung innerhalb des Teams oder delegieren Führungskräfte Aufgaben schlecht, kommt es zwangsläufig zu Missverständnissen. Die Produktion von unnötigen Fehlern aufgrund mangelnder Kommunikation ist besonders ärgerlich und hinterlässt ein frustriertes Entwicklerinnen / Entwickler-Team.
3. Versagensängste
Unsicherheit im Team ist ein Zeichen für Führungsversagen. Damit Developerinnen / Developer gute Arbeit leisten können, müssen sie sich sicher fühlen. Ihnen muss das Gefühl gegeben werden, dass sie sich ausprobieren können und dass sie verstanden werden. Wenn sie sich nicht an Vorgesetzte wenden wollen, weil sie Angst vor Fehlern haben, ist das ein Zeichen dafür, dass es ihnen an Unterstützung fehlt. Führungskräfte haben die Aufgabe, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich die Mitarbeitenden wohlfühlen und ihre Arbeit erfolgreich erledigen können. Wenn das nicht gelingt, ist das ein Fehler des Managements.
4. Cliquenbildung
Niemand fühlt sich gerne ausgeschlossen. Geschlossene Gruppen innerhalb des Teams sind deshalb Gift für die Motivation. Wenn sich einige Angestellte zu einer Clique zusammenschließen, werden andere automatisch ausgeschlossen. Das führt zu Frustration, Misstrauen und einem Gefühl der Ungerechtigkeit. Entwicklerinnen / Entwickler, die sich nicht als Teil des Teams fühlen, sind weniger motiviert und produktiv. Sie sind auch anfälliger für Stress und Burnout.
5. Verpasste Deadlines
Verzögerte Projekte und Überstunden sind ein Alarmsignal für Führungskräfte und Mitarbeitende. Wenn Entwicklerinnen / Entwickler ständig länger arbeiten müssen, um ihre Aufgaben zu erledigen, ist das ein Zeichen dafür, dass etwas mit der Unternehmenskultur nicht stimmt. Es gehört zu den Anforderungen an eine Führungskraft, dass sie es schafft, die Zeiten ihres Teams so einzuteilen, dass keine Überforderung oder Überstunden entstehen. Gelingt das nicht, sind die Folgen Überarbeitung und Überforderung. Das wiederum senkt Motivation und Produktivität der Entwicklerinnen / Entwickler.
6. Shaming Culture
Schlechtmachen und Herabsetzen sind Gift für die Unternehmenskultur. Gerade in der Softwareentwicklung ist es häufig zu beobachten, dass Kolleginnen und Kollegen bei der Überprüfung des Codes kleinste Fehler mit vernichtender Kritik quittieren. „Um Himmels willen, was hast du da angestellt!“ – solche Reaktionen sind nicht nur demotivierend, sondern auch schädlich für das Teamgefüge. Sie schaffen ein Klima der Angst und Unsicherheit, in dem sich niemand traut, Fehler zuzugeben oder Neues auszuprobieren.
7. Schwaches Management
Kaum etwas ist schlechter für das Arbeitsklima als fehlende Führung. Wenn Teamleiterinnen / Teamleiter sich nicht um die Probleme und Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden kümmern, entsteht ein Klima der Unzufriedenheit und des Misstrauens. Führungskräfte, die sich dagegen nur der Mehrheit anbiedern oder manche Mitarbeitenden bevorzugen, tragen zu unfairen Hierarchien und Diskriminierung bei. Beides sorgt im Handumdrehen dafür, dass ein toxisches Arbeitsumfeld entsteht.
Rein in das Wohlfühlklima
Wer bei dem ein oder anderen Punkt schlucken musste, weil er oder sie ihren Arbeitsplatz wiedererkannt hat, sollte nicht verzagen. Denn nur weil das derzeitige Arbeitsumfeld toxisch ist, heißt das keinesfalls, dass es so bleiben muss. Damit Entwicklerinnen / Entwickler sich gerne an ihren Computer setzen und Code schreiben, braucht es eine konsequente und positive Unternehmenskultur. Diese drei Tipps helfen dabei, diese einzuführen.
1. Zusammenarbeit
Um ein Ziel zu erreichen, müssen alle Teammitglieder zusammenarbeiten. Denn Erfolg gibt es nur gemeinsam. Dafür braucht es Teamgeist, offene Kommunikation und gegenseitige Unterstützung.
2. Wertschätzung
Willkommenskultur und Wertschätzung sind die Basis für langfristige Bindung. Wenn sich Entwicklerinnen / Entwickler wohlfühlen, sind sie motiviert und engagiert. Respekt, Rücksicht und Lob für gute Leistung sind wichtige Faktoren, um eine positive Arbeitsatmosphäre zu schaffen. So klappt es auch mit der Mitarbeiterbindung.
3. Gute Arbeitsbedingungen
Motivation beginnt mit den richtigen Rahmenbedingungen. Ein ergonomischer Arbeitsplatz mit moderner Ausstattung, flexible Arbeitszeiten und ein gutes Arbeitsklima sind wichtige Faktoren, um die Motivation von Entwicklerinnen / Entwicklern zu fördern. Auch die Teamstrukturen und Prozesse sollten so gestaltet sein, dass sie die Zusammenarbeit und das Lernen erleichtern.
Eine positive Unternehmenskultur ist das Fundament für ein glückliches Team. Sie muss aber mehr sein als nur ein Lippenbekenntnis. Die Unternehmensleitung muss sich mit der Kultur identifizieren und sie aktiv leben. Das bedeutet, dass sie sich für ein respektvolles Miteinander einsetzt, Konflikte konstruktiv löst und ein offenes Feedback-Klima fördert. Nur wenn die Unternehmenskultur gelebt wird, kann sie toxische Verhaltensweisen wie Mobbing und Ausgrenzung verhindern.
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Ana Gospodinova, Director Talent Management bei WeAreDevelopers, hat es sich zur Aufgabe gemacht, dass mehr Frauen ihren Weg in die Tech-Branche finden und sie dort auch die Anerkennung erhalten, die ihnen gebührt. Ana verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung, hauptsächlich im Recruiting in der Tech-Branche. Sie ist Mentorin bei Global Women in Tech, sowie seit 4 Jahren Coach und Mentorin bei PWN Wien.