Auf dem Arbeitsmarkt und im Beruf werden sowohl ältere als auch jüngere Personen strukturell benachteiligt, sagt Colm O’Cuinneain, General Manager EMEA bei Greenhouse. Er plädiert dafür, die Altersvielfalt in den Unternehmen zu fördern und stellt fünf Prinzipien vor, die Vorurteilen im Bewerbungsverfahren begegnen sollen.
Der “demografische Wandel” fordert Deutschland heraus: politisch, wirtschaftlich, finanziell und auch gesellschaftlich. Es bahnen sich Konflikte zwischen den Generationen an, für die “Ageism” ein Symptom ist: Aufgrund des vermuteten Alters werden Personen negative Eigenschaften zugeschrieben oder Fähigkeiten abgesprochen, was zu ihrer Benachteiligung führt – auch im Arbeitsleben.
Langsam steigt das Bewusstsein für diese Problematik, wozu jedes einzelne Unternehmen konkret beitragen kann. Und das mit Gewinn, denn Altersdiskriminierung aus Einstellungsprozessen und Berufsalltag zu verbannen wird nicht nur mit zufriedeneren Mitarbeitenden belohnt, sondern auch mit vielfältigen Teams, in denen sich Talente und Fähigkeiten ideal ergänzen.
Ageism erfordert Aufklärung in allen Lebensbereichen
Die aktuelle Studie im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zu “Altersbildern und Altersdiskriminierung” (2022) belegt eine tiefe Verwurzelung von Vorurteilen gegenüber älteren Menschen. Demnach werden insbesondere ältere Menschen gegenüber jüngeren beruflich und gesellschaftlich benachteiligt. Ageism umfasst aber nicht nur die Benachteiligung Älterer, sondern auch die Benachteiligung Jüngerer in allen Lebensbereichen.
Zum Beispiel bei der Inanspruchnahme von Bank- und Finanzdienstleistungen, bei der Ausübung von Ehrenämtern, aber auch auf dem Arbeitsmarkt und im Beruf werden ältere und jüngere Personen strukturell benachteiligt. Der Grund: Sie verfügen – tatsächlich oder vermeintlich – noch nicht oder nicht mehr über bestimmte Kompetenzen, Fähigkeiten und Freiräume. Die Unabhängige Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman, warnt mit Blick auf den demografischen Wandel davor, dass Altersdiskriminierung weiter zunehmen wird. Ihre Forderung: mehr Aufklärung und eine stärkere gesetzliche Verankerung – auch im Grundgesetz.
Umdenken auch in der Arbeitswelt erforderlich
Insbesondere in der Arbeitswelt findet Altersdiskriminierung statt, wobei es sich häufig um subtile, schwer nachweisbare Formen von Altersdiskriminierung handelt, gegen die sich rechtlich nur bedingt vorgehen lässt. Zudem möchten die wenigsten Betroffenen einen Gerichtsprozess gegen ihre aktuellen oder potenziellen Arbeitgeber führen, sodass Benachteiligungen akzeptiert werden und diskriminierende Strukturen bestehen bleiben.
So werden beispielsweise jüngere Personen häufig unterschätzt und daher bei Beförderungen übergangen oder für bestimmte Aufgaben und Rollen gar nicht erst in Betracht gezogen, obwohl sie ähnlich oder sogar besser qualifiziert sind als ältere Kolleginnen / Kollegen / Mitbewerberinnen / -Bewerber. Ältere Personen erhalten hingegen seltener die Möglichkeit, an Weiterbildungsprogrammen teilzunehmen, und werden mit Vorurteilen bezüglich ihrer körperlichen und geistlichen Gesundheit und Agilität konfrontiert.
Diese Formen der Altersdiskriminierung bedeuten nicht nur eine massive Einschränkung der Lebens- und Karriereplanung von Arbeitnehmerinnen / Arbeitnehmern, sondern auch verschenkte Potenziale auf Unternehmensseite. Schließlich sind diverse Teams nachweislich produktiver – und Vielfalt bezieht sich eben nicht nur auf das Geschlecht, die Ethnie oder das Fähigkeitsprofil, sondern auch auf das Alter.
Altersvielfalt in Unternehmen fördern
Es ist wichtig, Vorurteile über die verschiedenen Altersgruppen zu hinterfragen und die darin liegenden Stärken und Herausforderungen zu erkennen und zu nutzen. So mag es stimmen, dass die Generationen Z und Y als sogenannte Digital Natives häufig einen Vorteil bei der Aneignung von technologischem Wissen haben und zeitlich und örtlich flexibler sind. Dafür fehlt ihnen aber die jahrelange Berufserfahrung. Umgekehrt bringen ältere Personen eben diesen Erfahrungsschatz mit und können auf eine Vielzahl erprobter Strategien zurückgreifen, ihnen fehlt es aber im Gegenzug an der Routine im Umgang mit neuen Technologien.
Allein dieser holzschnittartige Abriss zeigt, wie Unternehmen von einem breiten Spektrum an Kompetenzen und Perspektiven profitieren können, wenn sie die Vielfalt an Fähigkeiten und Erfahrungen in gemischten Teams richtig nutzen.
Vorurteile über Altersgruppen überwinden
Altersdiskriminierung im Berufsleben beginnt häufig schon im Einstellungsprozess. Gerade hier gibt es jedoch viel Gestaltungspotenzial, um ein für alle Seiten positives und wertschätzendes Bewerbungsverfahren zu gewährleisten. Unternehmen, die folgende fünf Prinzipien beachten, zeigen außerdem, dass Werte wie Inklusivität und Respekt zur Unternehmenskultur gehören.
1. Transparenz: Sind vakante Stellen für alle potenziellen Bewerberinnen / Bewerber gut auffindbar?
Soziale Netzwerke wie LinkedIn und Xing sowie Online-Jobportale wie Stepstone oder Indeed sind im digitalen Zeitalter die ersten Adressen, um eine hohe Reichweite von Stellenausschreibungen zu gewährleisten. Allerdings wird die potenzielle Zielgruppe dadurch vorselektiert, denn ältere Arbeitnehmerinnen / Arbeitnehmer sind durchschnittlich seltener auf diesen Plattformen unterwegs.
Je nach Unternehmen und Budget ergibt eine Priorisierung der Recruitingmaßnahmen Sinn, dennoch sollten prinzipiell so breit wie möglich und damit auch analoge Maßnahmen wie Printanzeigen erwogen werden, um allein durch die Wahl des Kanals niemanden auszuschließen.
2. Inklusivität: Schließt die Sprache von Stellenanzeigen alle ein?
Bestimmte Formulierungen und Vokabeln verweisen indirekt auf das Alter von Bewerberinnen / Bewerbern und sollten daher zugunsten einer Fokussierung auf die gesuchten Fähigkeiten vermieden werden. Unternehmen, die auch für ältere Zielgruppen attraktiv sein möchten, sollten daher nicht explizit nach einer “möglichst flexiblen” Verstärkung für das “junge, dynamische Team” suchen und das Du gegebenenfalls durch das neutrale Sie ersetzen. Umgekehrt können Formulierungen wie “mit langjähriger Erfahrung” junge Bewerberinnen / Bewerber abschrecken, obwohl sie die inhaltlichen Qualifikationen erfüllen würden.
3. Vorurteile: Sind Recruiterinnen / Recruiter sich ihren Voreingenommenheiten bewusst und vermeiden vorschnelle Urteile?
Menschen bilden sich sehr schnell einen ersten Eindruck ihres Gegenübers – und das häufig unbewusst und ohne bösen Willen. Fähige Recruiterinnen / Recruiter zeichnen sich jedoch dadurch aus, dies reflektieren und sich von ihren ersten Eindrücken distanzieren zu können. Gehen beide Seiten offen in ein Vorstellungsgespräch, schafft das Raum für positive Überraschungen und ein Kennenlernen auf Augenhöhe, bei dem es wirklich darum geht, ob Unternehmen und Kandidatin / Kandidat zueinander passen.
Viele Arbeitgeber haben dies inzwischen erkannt und schulen ihre HR-Abteilungen und Führungsebenen darin, altersbedingte Ungleichbehandlung zu vermeiden. Des weiteren ist der Einsatz von technologischen Tools, die Diskriminierung im Prozess erkennen eine weitere Möglichkeit sich gegen Alters-Voreingenommenheit zu wappnen.
4. Struktur: Sind Bewerbungsprozesse einheitlich und gerecht gestaltet?
Der Abbau von Vorurteilen und die Fokussierung auf das gesuchte Fähigkeitsprofil werden durch eine klare Strukturierung des Einstellungsprozesses gefördert. Ein einheitliches Interview-Kit auf Basis anonymisierter Daten schafft vergleichbare Standards und hilft, eine evidenzbasierte Entscheidung im Sinne der Unternehmensziele zu treffen.
5. Leitlinien: Stellt das Unternehmen die Candidate Experience in den Vordergrund und gestaltet den Einstellungsprozess transparent?
Der Arbeitsmarkt der Gegenwart und Zukunft ist arbeitnehmerorientiert. Unternehmen, die dies jetzt erkennen und als Unternehmenswert kultivieren und transparent agieren,, haben (noch) einen Wettbewerbsvorteil – und diesen gilt es auf der Suche nach neuen Talenten zu nutzen. Eine Policy zu den eigenen Werten, die auf der Webseite auffindbar und im Bewerbungsverfahren transparent kommuniziert wird, macht Unternehmen attraktiv und Einstellungsprozesse zur positiven Erfahrung.
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Colm O'Cuinneain ist General Manager EMEA bei Greenhouse und verantwortet das EMEA-Geschäft aus der Zentrale in Dublin, Irland heraus. Er kann auf über 20 Jahre Erfahrung in der Tech-Branche zurückblicken, von denen er die letzten sieben Jahre im Bereich HR-Tech verbracht hat. Neben dem Aufbau wachstumsstarker Organisationen ist es Colms größtes Anliegen, die berufliche Entwicklung der Menschen, mit denen er zusammenarbeitet, und die Kundenbeziehungen nachhaltig zu verbessern. Seine persönlichen Werte spiegeln die Mission von Greenhouse wider, die darin besteht, die Kraft des menschlichen Potenzials am Arbeitsplatz freizusetzen.