Future Leaders sind „Menschenspezialisten“. Und sie werden anders Karriere machen, erklärt Anne M. Schüller. Diese wird zukünftig als Lernchance gesehen – nicht länger als hierarchischer Aufstieg. Karrieremobilität und temporäre Führung werden neue Schlagworte sein.
Vor allem die ambitionierten Talente der jungen Generation suchen ständig nach neuen Herausforderungen. Dabei wollen sie auch Karriere machen Doch klassische Karriereleitern sind für viele kaum noch erstrebenswert. Kletterwandkarrieren mit Rollenflexibilität bieten einen Ausweg aus diesem Dilemma. Sie sind ein dringend benötigter Baustein, um die Zukunft eines Unternehmens zu sichern. Denn, ganz klar: Wenn sich um uns herum alles dynamisiert, tangiert das auch das Führungsverständnis.
Den besten Beitrag zur Transformation leisten Führende dann, wenn sie sich selbst transformieren. In fortschrittlichen Unternehmen ist Führung nicht länger eine institutionalisierte hierarchische Stelle und zentralistisch auf wenige Schultern verteilt. Sie ist vielmehr als Rolle an Aufgaben und Projekte gebunden. Mal ist jemand Führende(r), mal Geführte(r). Und da, wo es viele Projekte gibt, wechseln die Rollen situativ. So wird es viel mehr Führende geben. Und der Bedarf an Führungswissen wird insgesamt steigen. Soziale Kompetenzen sind dabei entscheidend.
Das Führungsverständnis: von gestern oder für morgen?
Die alten pyramidalen Systeme brauchten vor allem Management. Moderne, vernetzt organisierte agile Unternehmen hingegen benötigen Leadership. Der Unterschied zwischen beidem? Bei Führung respektive Leadership steht der Mensch im Fokus, beim Management alles, was sich organisieren lässt.
- Ein Manager analysiert, entscheidet, strukturiert, steuert, weist an, kontrolliert.
- Ein Leader inspiriert, involviert, ermöglicht, bereichert, dialogisiert, delegiert.
Ein Führender benötigt vor allem soziale, der Manager vor allem methodische Kompetenzen. Eine Führungskraft ist vor allem Entwickler, ein Manager hauptsächlich Verwalter. Anweisungen geben und Abarbeit kontrollieren, das ist leicht. Dazu braucht es kein ausgefeiltes Führungsverständnis. Das erledigt in Zukunft KI.
Im Digitalzeitalter werden Angestellte mehr und mehr von Software gesteuert. Das macht das Managen von Menschenhand zunehmend überflüssig. Verschwindet also das Methodische in den Computer, bleibt nur noch das Klarkommen mit Menschen übrig. Dann wird eine Führungskraft vornehmlich für Dinge gebraucht, die Computer (noch) nicht können, nämlich den Beschäftigten mit emotionaler Intelligenz, Empathie, Intuition und gesundem Menschenverstand zu begegnen.
Future Leaders: Für Führungsaufgaben kommen nur Menschenspezialisten infrage
Führungsexzellenz braucht Sozialkompetenz. Denn Selbstorganisation lässt Menschen reifen. Eigenverantwortung macht sie selbstbewusst. Entscheidungskompetenz macht sie stark. Reflexionsfähigkeit macht sie kritisch. Selbstinitialisierte Weiterentwicklung macht sie anspruchsvoll. So kommen für Führungsaufgaben fortan ausschließlich Menschenspezialisten infrage. Den anderen ist die Führungslizenz strikt zu entziehen.
Die Führungskräfte, die wir jetzt brauchen, sind Koordinator und Facilitator, Inspirator und Katalysator. Sie öffnen Türen, räumen Hürden beiseite und machen die Bahn frei, damit die Leute lossprinten können. Sie sorgen dafür, dass Entfaltungsräume für Handlungsoptionen entstehen. Ihre Kernaufgabe besteht darin, die Menschen dazu zu bringen, besser zusammenzuarbeiten und gemeinsam gute und zugleich schnelle Entscheidungen zu treffen. Nur so kann der Sprung in die Zukunft gelingen.
Zudem müssen Führende zügigst lernen, wie man Offenheit für das notwendige Neue entwickelt und Chancen aus dem ständigen Wandel schöpft. Innovationskraft und wirtschaftliches Handeln sind mit sozialer und ökologischer Verantwortung in Einklang zu bringen. Ein tiefgreifendes Verständnis für digitale Technologien und Mensch-Maschine-Interaktionen ist für Future Leader ein Muss. In einem vernetzten Umfeld hängt alles mit allem zusammen. Dafür braucht es einen holistischen Blick.
Zukunftsvernachlässigung: in klassischen Unternehmen wahrscheinlich
Wenn Hierarchien zurückgebaut werden, braucht es Karrierealternativen. Gibt es die nicht, dann ist es wahrscheinlich, dass Führende den notwendigen Wandel blockieren. Um ihre Stellung und die damit verbundenen Privilegien haben sie lange gekämpft. Niemand gibt seine Pfründe gern freiwillig her. Mit Selbstentmachtung ist kaum zu rechnen. Denn Macht will weiterleben. Zudem tangiert Beförderungspolitik immer auch die Lebensplanung. Insofern ist Selbstschutz völlig normal. Wer viel zu verlieren hat, klammert sich an den Status quo und hütet seine Befugnisse wie einen wertvollen Schatz. Zukunftsvernachlässigung ist die bedrohliche und leider oft sichtbare Folge.
Zudem ist in Organisationen alten Stils noch immer ein Denken verankert, das Karriere gleichsetzt mit hierarchischem Aufstieg. Der Weg nach oben folgt einem vorgezeichneten Entwicklungsplan. Dabei gibt es viele Merkwürdigkeiten. Man dient sich hoch, ist irgendwann „dran“ und darf nicht übergangen werden. Fähig oder unfähig zu höheren Weihen? Kaum relevant. Ist die einzige Möglichkeit, mehr Geld zu verdienen, an eine Führungskarriere gebunden, dann ist es nur logisch, dass man diese erstrebt – selbst dann, wenn man Menschen nicht führen kann oder will.
Ähnliches gilt für Leute mit akademischen Titeln. In vielen Unternehmen sind sie fast automatisch für Führungsaufgaben prädestiniert, obwohl man an der Uni so gut wie nichts über Führungsexzellenz lernt. Anderswo darf man sich einer Beförderung ins Führen auch dann kaum widersetzen, wenn einem das nicht liegt. Man wird zum Führen „verdonnert“. Wer hingegen eine begnadete Führungskraft wäre, aber noch jung ist, hat gefälligst auf der Karrierelaufbahn zu warten. Ein Klassiker ist auch immer noch der: Gute Ergebnisse in fachlichen Dingen werden mit einer Führungsaufgabe belohnt. Leider ist ein solider Fachmann nur selten auch eine Führungspersönlichkeit.
Wie man Karrieren agilisiert: Kletterwand statt Leiter
Aus all diesen Gründen werden Alternativen zum klassischen Karrieremodell dringend gebraucht. Kletterwandkarrieren mit Rollenflexibilität bieten sich da geradezu an. Wie das funktioniert? Mal ist jemand Führungskraft eines Teams, mal Leiter eines Projekts, mal Verantwortlicher eines Prozesses, mal agiert er ganz ohne Führungsaufgaben in einer Expertengruppe, mal koordiniert er Bereiche crossfunktional.
Insofern gehen Kletterwandkarrieren viel weiter als der bisweilen praktizierte duale Weg, bei dem Fach- und Führungskarrieren gleichgestellt sind. In beiden Fällen aber gilt: Wird eine Führungsrolle vorübergehend oder auf Dauer abgegeben, wird dies nicht als Rückschritt, sondern als Seitwärtsbewegung betrachtet. Vordefinierte Karrierewege, die zwangsläufig in eine Führungsaufgabe münden, gibt es dabei nicht mehr. Für den Einzelnen bringt dies oft wieder Freiheit und weniger Druck, vor allem dann, wenn einem das Führen eh nicht sonderlich liegt.
Die Führungskarriere darf nicht länger zwangsläufig als der bessere Weg gelten. Ohne Gesichtsverlust muss der Wechsel in eine Fachposition möglich sein. Dies ist auch deshalb höchst sinnvoll, weil Spitzenfachkräfte immer dringender benötigt werden. Statt Zwangsaufstieg auf der Karriereleiter braucht es für diese neue Herausforderungen in der Breite der Unternehmenslandschaft. So können gute Leute weiterkommen, ohne andere führen zu müssen.
Kletterwandkarrieren bringen Karrieremobilität
Karriereleitern stehen für Traumkarrieren, aber auch für den Totalabsturz. An der Kletterwand hingegen kann man leicht eine neue Route einschlagen, wenn man an eine unüberwindliche Stelle gerät. Außerdem sind diejenigen, die an Kletterwänden geübt sind, grundsätzlich agiler, situativer, anpassungsfähiger und flexibler. Immerhin müssen sie sich ihre Standflächen selbst zusammensuchen, weil es keine vorgezeichneten Leitersprossen nach oben gibt. Mehr noch: Manchmal muss man wieder festen Boden unter die Füße bekommen, um neu starten zu können.
Egal, mit welchem Aufstieg man weitermacht, alles, was man bei früheren Klettergängen gelernt hat, kann helfen, die nächste Route schneller zu packen. Damit verbunden ist ein lebenslanges, selbstgesteuertes Lernen, um die eigenen Kompetenzen stets zu erweitern, zu verbreitern und auf Höchststand zu halten. In Zeiten, in denen es vor unvorhersehbaren Ereignissen geradezu wimmelt, der tägliche Wandel zur Normalität wird und der digitale Vormarsch ständig neue Anforderungen stellt, sind temporäre Führung und Kletterwandkarrieren somit genau die richtige Wahl.
Das neue Buch der Autorin
Anne M. Schüller:
Bahn frei für Übermorgengestalter
Gabal Verlag 2022, 216 Seiten, 24,90 €
ISBN 978-3967390933
Das Buch zeigt 25 rasch umsetzbare Initiativen und weit über 100 Aktionsbeispiele, um zu einem Überflieger der Wirtschaft zu werden. Kompakt und sehr unterhaltsam veranschaulicht es jedem, der helfen will, eine bessere Zukunft zu gestalten, die maßgeblichen Vorgehensweisen in drei Bereichen: Wie machen wir die Menschen stärker, das Zusammenarbeiten besser und die Innovationskraft im Unternehmen größer.
Hier finden Sie weitere Beiträge von Anne M. Schüller:
- „Elephant in the room“: Blockaden und Tabuthemen abräumen
- Gezielt finden: Vorausdenker und Übermorgengestalter
- Übermorgengestalter – bei Ihnen tatsächlich willkommen?
- Wenn die Belegschaft die Gewissensfrage stellt
- „Kill a stupid Rule!“: Internen Ballast abwerfen
Anne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenfokussierte Unternehmensführung. Zu diesen Themen hält sie Impulsvorträge auf Tagungen, Fachkongressen und Online-Events. 2015 wurde sie für ihr Lebenswerk in die Hall of Fame der German Speakers Association aufgenommen. Beim Business-Netzwerk Linkedin wurde sie Top-Voice 2017 und 2018. Von Xing wurde sie zum Spitzenwriter 2018 und zum Top Mind 2020 gekürt. Ihr Touchpoint Institut bildet zertifizierte Touchpoint Manager und zertifizierte Orbit-Organisationsentwickler aus.