Rente – aber richtig!

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Wie Unternehmen die richtigen Anreize und Strukturen schaffen, um ältere Mitarbeitende zu halten, erläutert Manuela Herrlein, Geschäftsführerin der Alpine One GmbH. Individualität ist ein Schlüssel zum Erfolg. Und die Förderung eines altersinklusiven Mindsets. Dann eröffnet die Rente neue Chancen für Unternehmen und Belegschaft.

Von allen wichtigen Ereignissen im Leben ist der Renteneintritt wahrscheinlich das am häufigsten unterschätzte. Zumindest in der Außenwahrnehmung. Und aus Unternehmenssicht. Die meisten Unternehmen unterschätzen, wie intensiv sich ihre Mitarbeitende – bewusst und unbewusst mit diesem sogenannten „critical life event“ auseinandersetzen.

Lebensphasen vor und nach Renteneintritt

Viele Mitarbeitende machen sich nämlich bereits 15 Jahre vor Renteneintritt Gedanken über ihren beruflichen Exit: Wann ist der richtige Zeitpunkt? Ab wann ist ein Renteneinritt finanziell möglich? Wie investiere ich ab dann meine Zeit? Will ich überhaupt ab dem gesetzlichen Renteneintrittsalter aufhören zu arbeiten? Was möchte ich vor Renteneintritt beruflich noch erreichen? Vielleicht auch, was mache ich nach Renteneintritt? Diese Gedanken sind Teil der ersten von fünf Lebensphasen vor und nach Renteneintritt, beginnend bereits zu 15 Jahre vor diesem.

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Lebensphasen Rente
Fünf Lebensphasen vor und nach Renteneintritt. In Anlehnung an: Age Wave, 2007; Kim & Moen, 2002

Die ausschlaggebenden Phasen aus Unternehmenssicht sind Phase 1 „Imagination“ und 2 „Erwartung / Honeymoon“, denn hier können Unternehmen noch aktiv werden. Immer unterstellt, dass sie Arbeitskräfte möglichst lange motiviert und produktiv im Unternehmen halten möchten.

Wann Unternehmen aktiv werden müssen

In der ersten Phase, der sogenannten „Imaginations-Phase“, erwarten ca. 74 Prozent der Mitarbeitenden, dass sie ihre Rente genießen werden. Allerdings ohne genaue Vorstellungen, wie dieses relevante und in das bisherige (Berufs-)Leben stark eingreifende Ereignis gestaltet werden soll. Offen ist dabei noch, ob ein naher Renteneintritt überhaupt gewünscht ist – oder es sich lediglich um eine gesellschaftliche Norm handelt, sich über den Renteneintritt zu freuen.

Und genau aus diesem Grund ist dieser Zeitraum die Schlüsselphase für Unternehmen, um aktiv zu werden! Denn man hat noch die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen.

Sobald Phase 2 des Renteneintritts beginnt, wird es für Unternehmen immer schwieriger, ihre Mitarbeitende von einem (verfrühten) Exit aus dem Unternehmen abzuhalten, wenn die grundsätzliche Entscheidung bereits gefällt ist. Phase 2 setzt ca. 5 Jahre vor dem Renteneintritt ein, die sogenannte Honeymoon Phase. Die Freude auf das Leben nach dem Renteneintritt steigt – die Freude auf den vermeintlichen „Honeymoon“ nach dem Arbeitsalltag. Die ersten Freunde und Kolleginnen / Kollegen gehen vielleicht schon in Rente und schildern die neue Freiheit.

Eintritt in den Ruhestand aktiv fördern?

In den ersten zwei Phasen werden die Gedanken an den beruflichen Exit durch Unternehmen oft bestärkt. Bewusst und unbewusst. Mitarbeitende ab 45+ Jahren erleben meist stagnierende Karrieren und werden in passive Rollen gedrängt. Durch Mangel an Wertschätzung und Investment beispielsweise im Sinne von Weiterbildung, sinkt bei Mitarbeitenden die Motivation, weiterhin Topleistung für das Unternehmen zu geben. Wozu auch, die eigentliche Karriere scheint ja weitestgehend vorbei. Mitarbeitende, die sich also noch in Phase 1 des Renteneintritts befinden, werden durch vorurteilsbehaftete Unternehmensstrukturen immer weiter Richtung frühzeitigen beruflichen Exit gedrängt. (Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, 2021)

Flankiert wird dies durch zahlreiche Maßnahmen von Unternehmen, den Eintritt in den Ruhestand individuell und attraktiv zu gestalten. So gibt es Altersteilzeitmodelle oder Möglichkeiten zur Frührente oder zur Reduzierung der Arbeitsstunden usw.. All diese Maßnahmen zielen auf den unmittelbaren Exit im Unternehmen ab und bestärken gegebenenfalls Mitarbeitende in ihrer Entscheidungsfindung.

Wenn Unternehmen primär Angebote für ein vorzeitiges Ausscheiden anbieten, dann scheinen sie vielleicht ja auch kein Interesse mehr an älteren Mitarbeitenden zu haben. Abgesehen davon, dass diese Modelle für Unternehmen in Zeiten des demografischen Wandels und Fachkräftemangels nicht mehr tragbar sind, schaffen die Modelle somit keineswegs den Anreiz, im Unternehmen zu bleiben – obwohl die Mitarbeitenden dringend gebraucht werden.

Die Mehrheit will weiterarbeiten

Studien ergaben, dass 95 Prozent der Mitarbeitenden, die unmittelbar vor dem Ruhestand stehen, planen, nach dem Ruhestand weiterzuarbeiten, 81 Prozent wollen weiter lernen und sich entwickeln, 70 Prozent sind interessiert an neuen Dingen (Age Wave, 2007; Hans & Moen, 1999; Kim & Moen, 2002).

Diese Statistiken zeigen deutlich, dass ältere Mitarbeitende, unabhängig der Lebensphasen vor und nach Renteneintritt, keineswegs weniger motiviert sind und sich durchaus noch weiterentwickeln möchten. Doch wie genau können Unternehmen die richtigen Anreize und Strukturen schaffen, um die Gedanken – insbesondere in Phase 1 – weg vom beruflichen Exit hin zur beruflichen Perspektive zu lenken?

Anreize schaffen, Weiterentwicklung ermöglichen

Hier gilt es vor allem, Transparenz über die Erwartungen und Wünsche für den weiteren beruflichen Werdegang zu schaffen. Verbunden mit der Botschaft, dass es auch nach 50 noch viele Chancen und Möglichkeiten im Beruf gibt. Der Schlüssel zum Erfolg ist: Individualität. Umso individueller Maßnahmen für Mitarbeitende gestaltet werden, desto bedürfnisgerechter werden sie wahrgenommen. Bedürfnisgerechte Maßnahmen führen zu hoher Akzeptanz und Wirksamkeit der Maßnahmen.

Übergreifende Maßnahmen für jedes Unternehmen sollten mindestens wertschätzende Kommunikation und Anreize zur Wissensvermittlung durch Peer-Learning und Austauschformate sein.

Darüber hinaus sollten Unternehmen gezielte (Weiterentwicklungs-) Maßnahmen auch für ältere Mitarbeitende anbieten. So besteht beispielsweise die Möglichkeit der individuellen Anpassung von Jobprofilen, über flexible Arbeitszeiten und Arbeitsplatzgestaltung (mobiles/hybrides Arbeiten) hinaus. Konkret könnte dies Co-Leadership Modelle beinhalten, also die Besetzung einer Führungsposition durch zwei Mitarbeitenden, idealerweise aus unterschiedlichen Generationen. Des Weiteren kann der Wechsel von einer Führungsposition in eine Expertenposition angeboten werden.

Expertenpool aufbauen

Die Königsdisziplin für Unternehmen ist Maßnahmen für Mitarbeitende in Phase 3 und 4, Befreiung und Re-Orientierung, anzubieten und sie somit nicht ganz zu verlieren. Beispielsweise kann ein Expertenpool ins Leben gerufen werden, mit Mitarbeitenden im Ruhestand, die für spezifische Projekte gebucht werden können oder als Dozenten zur Wissensvermittlung zur Verfügung stehen.

Die Grundlagen für jegliche Maßnahmen, um ältere Mitarbeitende motiviert, leistungsfähig und im Unternehmen zu halten sind jedoch:

  • Die Förderung eines altersinklusiven Mindsets in der Belegschaft (vor allem Sensibilisierungsprogramme für (jüngere) Führungskräfte, um Verständnis und Wertschätzung zu erhöhen)
  • Durchführung regelmäßiger, individueller Gespräche mit Mitarbeitenden ab 45+ Jahren zu beruflichen Wünschen und Bedürfnissen für die kommenden Jahre.

Ob Mitarbeitende bereits 15 Jahre vorher intensiv über ihren Renteneintritt nachdenken, liegt somit zu einem erheblichen Teil an den gegebenen Anreizen, Impulsen und Möglichkeiten des Unternehmens. Diese müssen jedoch aufhören, diesen Anteil zu unterschätzen und den beruflichen Exit als attraktive Möglichkeit zu gestalten.

Quellen:

Age Wave (2007). https://agewave.com/the-five-stages-of-retirement/. Retrieved on 02.12.2022 Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (2021), Bevökerungsforschung – aktuell, (1), S.1-12. Han, S. & Moen, P. (1999).

Clocking Out: Temporal Patterning of Retirement. American Journal of Sociology, 105(1), 191–236.

Kim, J. E. & Moen, P. (2002). Retirement Transitions, Gender, and Psychological Well-Being: A Life-
Course, Ecological Model. The Journals of Gerontology Series B: Psychological Sciences and Social Sciences, 57(3), P212–P222.

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Foto Manuela Herrlein

Manuela Herrlein ist Geschäftsführerin der Alpine One GmbH. Foto © Melissa Bungartz

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