Inklusives Recruiting gegen den Fachkräftemangel

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Menschen, die mit einer Behinderung leben, bringen oft neue Blickwinkel und Arbeitsweisen mit in den Berufsalltag, sagt Beatriz González Mellídez von Atos. Sie plädiert für ein inklusives Recruiting, das dem Fachkräftemangel entgegenwirken könnte.

Der Mangel an qualifizierten Fachkräften ist teilweise hausgemacht. Diese Erkenntnis setzt sich auch innerhalb der deutschen Wirtschaft immer stärker durch. Ob nun wegen mangelhaften Ausbildungsstrategien, unangemessener Bezahlung oder schlechten Arbeitsbedingungen: Viele Organisationen stehen vor großen Herausforderungen, Personal zu finden.

Ein weiterer Knackpunkt: Viele HR-Abteilungen schließen von vornherein eine Personengruppe aus, die ihrem Fachkräftemangel entgegenwirken könnte: Menschen mit Behinderung. Dies geschieht in den seltensten Fällen bewusst und hängt eher mit Prozessen zusammen, die nicht inklusiv gestaltet sind. Schon die Inserate selbst exkludieren potenzielle Bewerberinnen und Bewerber, da beispielsweise Schriftarten und -größen im Druck Version sowie Code im Digital zum Einsatz kommen, die nicht für sehbehinderte Menschen geeignet sind. Doch Inklusion bedeutet auch darüber hinaus mehr als rollstuhlgerechte Gebäudezugänge und geeignete Schriften und Kontrast für Sehbehinderte: Es geht viel mehr darum, technische Möglichkeiten mit einer Strategie zu kombinieren, die alle Menschen voranbringt – mit oder ohne Behinderung.

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Menschen mit Behinderungen und ihre Vorteile für Unternehmen

Menschen, die mit einer Behinderung leben, bieten mehr als die Besetzung einer vakanten Stelle. Sie bringen Erfahrungen, die sie während ihres Lebens mit einer Beeinträchtigung gemacht haben, neue Blickwinkel und Arbeitsweisen mit in den Berufsalltag. Dazu gehören oft:

  • Hohe Kreativität, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit: In ihrem Alltag haben diese potenziellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gelernt, mit Einschränkungen und Herausforderungen umzugehen und besitzen daher häufig eine „Hands-On-Mentalität“. Diese positive Einstellung gegenüber neuen Herausforderungen ist eine Quelle für Innovationen. Es gibt viele Beispiele für Erfindungen, an deren Ursprung der Wunsch nach Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen stand: Die Schreibmaschine sowie Untertitel oder Elektronische Musik, um hier nur einige zu nennen.
  • Sehr hohe Loyalität zu Unternehmen und Teams, die für sie gute Rahmenbedingungen schaffen.
  • Herausragende Teamfähigkeit, da viele es gewohnt sind, aktiv auf andere Menschen zugehen zu müssen und in schwierigen Situationen Nachsicht zu üben.
  • Sehr gute Moderations- und Verhandlungskünste: Viele mussten lernen, ihre eigenen Interessen zu vertreten, ohne Gesprächspartnerinnen / Gesprächspartner vor den Kopf zu stoßen.
  • Besondere Motivation: Diese resultiert zum Beispiel daraus, dass sie sich und anderen beweisen möchten, dass sie ein genauso vollwertiger Arbeitnehmer sind wie alle anderen und sehr gute Leistungen erbringen können.

Es ist jedoch wichtig, sich bewusst zu machen: Die meisten Behinderungen entwickeln sich im Alter und es gibt viele unsichtbare Behinderungen, von Depressionen über Diabetes bis hin zu Neurodiversität wie Legasthenie oder ADHS. Hinzu kommt: Manche Kolleginnen / Kollegen sind aufgrund einer Krankheit (zum Beispiel wegen einer Kehlkopfentzündung oder eines Skiunfalls) temporär behindert. Manche Menschen wissen nicht, dass sie eine Behinderung haben, und die Diagnose wird erst spät im Leben gestellt. All diese Kolleginnen / Kollegen profitieren von der Mentalität und den technischen Hilfsmitteln, die die Barrierefreiheit standardmäßig unterstützen.

Technologien für die Inklusion

Die technologischen Fortschritte, die bei der Inklusion innerhalb der letzten zehn bis zwanzig Jahre gemacht wurden, sind immens: Von einfachen Screen-Readern, die Bildschirmtexte für sehbeeinträchtigte Personen vorlesen, bis hin zu Augmented Reality-Brillen, die aufbereitete Informationen oder Untertiteln in das Sichtfeld gehörlose Personen projizieren. Spracherkennungssoftware und KI-Assistenten ermöglichen körperlich eingeschränkten Menschen die Verwendung von Türsteuerungen, Klimaanlagen, elektrischen Rollladen und vielem mehr.

Biometrische Zugangssysteme erleichtern Menschen mit Behinderungen den Zugang zu Gebäuden und Räumen: Für einige Menschen stellen herkömmliche Zugangssysteme mit Passwörtern oder Schlüsseln eine schwer überwindbare Barriere dar – etwa, weil sie die Tastatur oder den Touchscreen nicht richtig bedienen können oder sich die zahlreichen und komplizierten Muster nicht merken können. Eine barrierefreie Alternative sind biometrische Erkennungssysteme wie Fingerabdruckscanner oder Gesichtserkennung.

Weitere Hilfsmittel, die Menschen mit Behinderung die Arbeit ermöglichen und erleichtern, beinhalten Braille-Tastaturen und -Zeilen, die Schrift von Bildschirmen in haptische Signale umwandeln.

Die Strategie ist der Schlüssel

Entscheidend bei der Umsetzung von Inklusion, Barrierefreiheit und Zugänglichkeit ist die Eigeninitiative der Mitarbeiterinnen / Mitarbeitern. Es ist zum Beispiel sinnvoll, dass Teams die Art und Weise der Zusammenarbeit selbst definieren: Welche Team- und Besprechungsräume sowie digitalen und physischen Tools sind am besten geeignet? Welcher Tisch steht für wen wo am besten in puncto Lichteinfall und Ruhe? Wie lassen sich zusätzliche Pausen für Mitarbeitende mit Behinderung am besten in den Arbeitsfluss integrieren?

Essenziell ist in diesem Zusammenhang der vertrauliche Austausch über Wünsche und Bedürfnisse aller Teammitglieder. Die Person mit der (sichtbaren) Behinderung sollte nicht als Alibifigur missbraucht werden. Das Verfahren sollte fair sein und die individuellen Bedürfnisse berücksichtigen. Man weiß nie, ob jemand anderes eine Behinderung hat. Mit Empathie, gegenseitiger Rücksichtnahme und offener Kommunikation sind Teams in der Regel am besten in der Lage, sich selbst zu organisieren und auch Probleme selbst zu lösen, insbesondere in der IT-Arbeitswelt, die diese Selbstorganisation als Wert der agilen Arbeitskultur schätzt und häufig praktiziert. Und diese „best practices“ funktionieren nicht nur für Menschen mit Behinderungen, sondern für das gesamte Unternehmen.

Das entbindet das Management allerdings nicht von der Pflicht, eine klare inklusive Politik in den Firmenprozessen umzusetzen und die internen Maßnahmen zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen breit zu kommunizieren. Nicht jede Person im Unternehmen wird im Privatleben Erfahrungen mit behinderten Menschen gemacht haben und die meisten Behinderungen kommen im Alter auf. Deshalb sollte das Management Aktionen und Fortbildungen organisieren, die ein Bewusstsein, sogenannte „Awareness“, für die Notwendigkeit von Barrierefreiheit für jeden und insbesondere für Menschen mit Beeinträchtigungen oder Behinderungen (Mitarbeitenden wie auch Kunden) schaffen. Möglich sind etwa Informationsveranstaltungen oder Pflichtfortbildungen über die internen Maßnahmen und vorhandenen barrierefreie Lösungen.

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Foto Beatriz González Mellídez

Beatriz González Mellídez, Head of Accessibility & Digital Inclusion Central Europe bei Atos. Sie ist zertifizierte Fachkraft für Web-Barrierefreiheit (Internationaler Verband der Barrierefreiheitsexpert*innen, IAAP) und User Requirements Engineer (UXQB’s CPUX-FL und CPUX-UR). Sie verfügt über 20-jährige Berufserfahrung als UX-Beraterin, Webdesignerin und Front-End-Entwicklerin in mehr als 10 Ländern und in 5 Sprachen.

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