Weiterbildung kann ungleiche Chancen in der Schulzeit kompensieren. Mario Kestler, Geschäftsführer der Haufe Akademie, schildert, wie Weiterbildung als Aufstiegschance genutzt werden kann.
Die starke Chancenungleichheit in deutschen Schulen ist vielen bekannt. Was hingegen oft unterschätzt wird: Die gesellschaftliche Bedeutung von Entwicklung im Job. Doch wie kann Weiterentwicklung verpasste Chancen aus der Schulzeit ausgleichen und zum Booster für Chancengleichheit und nicht ganz geradlinige Karrierepfade werden? Dies ist der zweite Beitrag einer dreiteiligen Serie zum Thema Zukunftlernen.
Die drei Teile der Serie:
#1 Der Weg zur lernenden Organisation: Im ersten Teil unserer Serie zum Thema Zukunftlernen ging es um die wirtschaftliche Notwendigkeit, ein gezieltes Re- und Upskilling in den Unternehmen zu implementieren. Denn nur mit kontinuierlicher Weiterbildung können sowohl Firmen als auch Mitarbeitende mit dem ständigen Wandel Schritt halten und die Zukunft nach ihren Wünschen formen.
#2 Weiterbildung als Aufstiegschance
#3 Weiterbildung = persönliche Weiterentwicklung? Diese Beitrag wird voraussichtlich am 17. Oktober veröffentlicht.
Qualifizierung und Entwicklung kann Chancenungleichheit im Bildungswesen ausgleichen
Nur 27 Prozent der Grundschülerinnen / Grundschüler aus einem Nichtakademikerhaushalt beginnen später ein Studium. Bei Kindern von Akademikerinnen / Akademikern sind es hingegen 79 Prozent. Diese Zahlen aus einer Studie von Stifterverband für die Wissenschaft und McKinsey machen betroffen und zeigen eine unglaubliche Chancenungleichheit an deutschen Schulen, die gravierende Folgen hat: Die Betroffenen scheitern beim Aufstieg auf der Karriereleiter und der Wirtschaft gehen wichtige Talente und Potenziale verloren.
Doch was können wir in den Unternehmen dagegen tun? Ein wichtiger Hebel ist in meinen Augen kontinuierliche Weiterbildung! Nachgeholte Qualifikationen können die Ungleichheit des Bildungssystems zumindest teilweise wieder ausgleichen und verhindern wirtschaftlichen Schaden. Doch wie gelingt es, Weiterbildung als Aufstiegschance in den Unternehmen zu implementieren? Folgende Gedanken würde ich gerne zur Diskussion stellen – vielleicht sehen Sie es ähnlich oder haben auch ganz andere Ideen?
#1 Die richtige Lernkultur schaffen: Weiterbildung geht alle an
Außer Maschineneinweisungen und Sicherheitsbelehrungen nichts gewesen? Viele Weiterbildungen – vor allem im produzierenden Bereich – beschränken sich auf das unmittelbare Tätigkeitsgebiet der Mitarbeitenden. Längerfristige Perspektiven gibt es nur für ausgewählte Kolleginnen und Kollegen, die sich etwa als Meisterin / Meister weiterqualifizieren können. Unternehmen, die hier einen Mindshift herbeiführen, können enorme versteckte Potenziale heben.
Denn in unserer Arbeitswelt im Wandel zählen die Skills, die jetzt gebraucht werden und nicht das Wissen, das jemand vor 15 Jahren erworben hat. Die Skills der Mitarbeitenden ständig aktuell zu halten, erfordert jedoch eine Kultur des lebenslangen Lernens von allen Beschäftigten, nicht nur von denjenigen, die für Fach- oder Führungskarrieren vorgesehen sind.
#2 Auf Persönlichkeiten statt auf Abschlüsse setzen
Doch was bedeutet eine Kultur des lebenslangen Lernens und der schnell veraltenden Kompetenzen für das Recruiting? In erster Linie die Notwendigkeit, umzudenken – aber auch eine große Chance, sich von starren Bewertungsmustern zu lösen und stärker auf das Individuum einzugehen. Denn wenn Wissen immer vergänglicher wird, verlieren auch Bildungsabschlüsse an Wert.
Dementsprechend ist es für HR hilfreich, neue Kriterien für die Beurteilung von potenziellen Mitarbeitenden zu entwickeln – weg von überragenden Zeugnissen hin zur Persönlichkeit: Wirkt jemand neugierig und aufgeschlossen? Steht er oder sie neuen Entwicklungen offen gegenüber, hat keine Angst vor dem Unbekannten und Lust, sich weiterzuentwickeln sowie die Zukunft mitzugestalten?
Dann ist dies mit hoher Wahrscheinlichkeit ein:e Traumkandidat:in für jedes Unternehmen – auch wenn der formale Abschluss eigentlich nicht ganz den Anforderungen entsprechen sollte.
#3 Führungskräfte als Mentorinnen / Mentoren für Entwicklung
Es gibt so viel zu lernen in so kurzer Zeit – und bei oft starrem Budgeteinsatz. Wie soll das funktionieren? Genau hier beginnt zukünftig eine stärkere Einbindung der Führungskräfte. Als Entwicklungsmentorinnen / -mentoren ihrer Teams identifizieren sie Kompetenzen, die zukünftig im Team gebraucht werden und schaffen gemeinsam mit HR die Rahmenbedingungen, um Lernen möglich zu machen.
Zukunftssicherheit geht besser mit allen Beteiligten
Ungleiche Bildungschancen sind ein großes Thema in unserer Gesellschaft und in den Unternehmen haben wir die Chance, auszugleichen, was in der Schulzeit schiefgelaufen ist. Dazu brauchen wir nur jenseits formaler Bildungsabschlüsse auf die Kompetenzen und die Lernfähigkeit aller Mitarbeitenden setzen.
Das ist nicht nur ein Akt der sozialen Gerechtigkeit, sondern vor allen Dingen für die Unternehmen eine große Chance, unentdeckte Potenziale zu heben, von denen man heute noch gar nicht weiß, dass man sie morgen brauchen wird.
Lesen Sie auch die folgenden Beiträge:
- 5 Hürden für digitale Schulungsinitiativen im Unternehmen
- Learning Nuggets & Microlearning: Lernsnacks im Job
- Weiterbildung: Wie Arbeitskräfte mit der Firma wachsen
Mario Kestler ist seit 2001 Geschäftsführer der Haufe Akademie und bereits seit 1986 bei der Haufe Group tätig. Die Bereiche Kommunikation und Marketing treiben ihn besonders um, wobei seine Leidenschaft in der Entwicklung von Menschen und Organisationen liegt. Dank Ausbildung zum systemischen Berater kann er beides aus vielfältigen Blickwinkeln betrachten. Als begeisterter Entwicklungserleichterer war er Hauptinitiator des s.mile Projekts, welches 15 Teilnehmern für zwei Jahre kostenfreien und unbegrenzten Zugang zum gesamten Qualifizierungsprogramm der Haufe Akademie ermöglichte.