Welches Selbstverständnis sollte HR in Wachstumsunternehmen einnehmen, fragt Julia Molt, Exense. Wie meistern HR-Verantwortliche souverän neue Herausforderungen? Ein Denkansatz.
In der Pandemie haben viele HR-Abteilungen eindrucksvoll bewiesen, wie schnell sie Verantwortung übernehmen und flexibel auf unvorbereitete Krisen reagieren können. Digitalisierungsvorhaben oder die Einführung flexibler Arbeitsmodelle, die sich zuvor über Jahre dahinzogen, wurden plötzlich innerhalb weniger Wochen und Monate umgesetzt. Die übliche Kritik am Personalbereich, zu sehr Verwalter und zu wenig Gestalter zu sein, konnten viele HR-Verantwortliche zu Beginn der Corona-Krise widerlegen.
Eine Vielzahl an Unternehmen ist nun damit beschäftigt, möglichst schadenfrei durch die Krise zu navigieren. Doch es gibt auch die „Corona-Gewinner“, die von der Pandemie profitiert haben und sich im starken Wachstum befinden. Die Personalbereiche dieser Unternehmen können nun den endgültigen Beweis liefern, dass der HR-Bereich als starker Strategie- und Umsetzungspartner der Geschäftsführung agieren – und wachsende Unternehmen nachhaltig erfolgreich machen kann. Mit welchen Hürden müssen HR-Verantwortliche im rasanten Wachstum rechnen – und wie können sie diese meistern?
Hürde 1: Personalfragen geraten ins Hintertreffen
Wenn Unternehmen stark wachsen, reiten alle Beteiligten auf der Erfolgswelle und fokussieren sich oftmals vollkommen auf Kundenanfragen, Vertrieb und Marketing. Personalfragen geraten in den Hintergrund: Kann die derzeitige Personalstruktur die Masse an Kundenanfragen noch stemmen? Muss die Führungs- und Organisationsstruktur an das rasante Wachstum angepasst werden? Welche Kompetenzen benötigen wir – auf Shop-Floor-Ebene sowie auf neu entstehenden Managementebenen?
Wer diese Fragen nicht rechtzeitig beantwortet, kann die Kunden nicht mehr bedienen – und verliert Marktanteile. Gleichzeitig steigt die Arbeitsüberlastung der Belegschaft. Es kommt zu Motivations- und Produktivitätseinbrüchen, zunehmenden Krankschreibungen und Fluktuation. Die Lösung: HR-Verantwortliche sollten eng mit der Geschäftsführung zusammenarbeiten und eine passende HR-Strategie im Wachstum entwickeln, beziehungsweise parat haben.
Dazu gehört, Strukturen anzupassen, den spezifischen Personal- und Kompetenz-Bedarf zu ermitteln – und die Personalbeschaffung in die Wege zu leiten. Die Geschäftsführung muss den Personalbereich bei Strategiefragen einbeziehen – und die Strategieausrichtung des Unternehmens gemeinsam mit ihr entwickeln.
Hürde 2: Die Kultur verändert sich im Wachstum
Wenn im hohen Maße Mitarbeitende eingestellt und zusätzliche Managementebenen geschaffen werden, entsteht eine enorme Dynamik: Das Arbeitsumfeld ändert sich, überall wachsen neue Rollen, Aufgaben und Prioritäten aus dem Boden. Diese Veränderung geht nicht spurlos am Unternehmen, an den Menschen und an der Unternehmenskultur vorbei. Wenn das Unternehmen nicht frühzeitig den Kulturwandel aktiv begleitet, verblasst die Unternehmenskultur: Dann wissen zuerst die Mitarbeitenden nicht mehr, für welche Werte ihr Arbeitgeber eigentlich steht – und hinterher erkennen die Kunden kein klares Markenbild mehr.
Darum sollte der Personalbereich das Employer Branding in seiner Wirkung nach außen wie auch nach innen in die Organisation als Priorität auf der HR-Agenda haben und den Kulturwandel begleiten. Einerseits, indem er wachstumsförderliche Strukturen schafft, in denen sich die Kultur verändern kann. Andererseits, indem er zentrale Unternehmenswerte unter Einbindung der Mitarbeitenden entwickelt und im Rahmen einer Kommunikationsstrategie erlebbar macht.
Hürde 3: Fehlende Prozesse und Systeme
Verwaltungsprozesse geraten im Wachstum an ihre Grenzen. Wachsende Strukturen und mehr Einstellungen führen zu höheren Kosten und einer komplexeren Mitarbeiterverwaltung. Wer die Prozesse nicht an die neuen Anforderungen anpasst, droht, im Workload unterzugehen. Es gilt, die HR-Prozesse effizienter zu gestalten, beispielsweise durch Automatisierung, Bürokratieabbau oder Rationalisierung.
Die Geschäftsführung sollte ihrem HR-Bereich die nötigen Ressourcen, Systeme und Technologien zur Verfügung stellen, um schnell effizientere HR-Prozesse entwickeln zu können. Dann gelingt es, Aufgaben, Richtlinien und Verfahren der Organisation an das Wachstum anzupassen.
Hürde 4: Geringe Datenhygiene
Fehlende Prozesse und Systeme führen unweigerlich zu einer geringen Datenhygiene. In einem rasant wachsenden Umfeld verliert das Management schnell die Übersicht, wenn sie kein klares Personalcontrolling und -monitoring haben. Und ohne Daten fehlen ihm wichtige Entscheidungsgrundlagen. Nutzt der Personalbereich hingegen Tools für das Monitoring und für die Analyse personalrelevanter Daten, kann er mit unternehmerischer Weitsicht und hohem inhaltlichen Qualitätsanspruch agieren: Krankenstand, Fluktuation, Kompetenz- und Innovationsmanagement, Personalbeschaffung, Nachfolgemanagement, Teamentwicklung – zu all diesen Punkten kann eine datengestützte HR-Abteilung intelligente Lösungen für künftige Wachstumsinitiativen entwickeln.
Hürde 5: HR agiert isoliert in Silostruktur
Im rasanten Wachstum besteht die Gefahr, dass sich die HR-Verantwortlichen in ihrer Abteilung verschanzen – und Strukturen und Prozesse aus ihrem Silo heraus aufsetzen. Doch somit verliert der Personalbereich den Bezug zu den wahren Bedürfnissen und Herausforderungen der anderen Abteilungen und verpasst, strategische Geschäftsergebnisse zu unterstützen und voranzutreiben. Ein starker und wachstumsförderlicher HR-Bereich geht in die Abteilungen hinein, spricht mit den Führungsteams und Mitarbeitenden – und erfasst somit den wahren Bedarf der Organisation. Die Personalabteilung ist die Brücke, die das obere Management mit den Abteilungen und ihren Teams verbindet und ihm strategische Entscheidungsgrundlagen liefert.
HR in Wachstumsunternehmen – Fazit
Das Selbstverständnis des Personalbereichs in rasant wachsenden Unternehmen sollte klar sein: Er ist strategischer Partner auf Augenhöhe. Wenn das Management diese Rolle anerkennt und die nötigen Ressourcen zur Verfügung stellt, kann die HR wachstumsförderliche Maßnahmen entwickeln, die sich nach den Bedürfnissen des Wachstumsunternehmens richten. Dann kann das Unternehmen weiter auf der Erfolgswelle reiten, sich erfolgreich transformieren – und seine strategischen Ziele erreichen.
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Julia Molt ist Inhaberin von Exense Interim Management sowie Leiterin HR & Organisationsentwicklung der Henry Lamotte Services GmbH. Sie verfügt über 20 Jahre Erfahrung in internationalem Projekt- und Changemanagement sowie in der Leitung und Entwicklung von Stabs- und Zentralfunktionen in Konzernen und mittelständischen Unternehmen. Als Umsetzungsexpertin begleitet sie Unternehmen bei der strategischen Neuausrichtung, bei Transformationsprojekten, nachhaltigem Wachstum und Integration. Molt ist auf Organisationen des öffentlichen, sozialen, gemeinnützigen und Dienstleistungssektors spezialisiert – und agiert an der Nahtstelle zwischen öffentlicher Hand, Wirtschaft und Gesellschaft. Foto © Christian Back