Zeitenwende: Die Umsetzung der Vier-Tage-Woche

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Unternehmen sollten in drei Phasen auf die Vier-Tage-Woche umstellen, rät Elton Schwerzel, Managing Director DACH bei Cegid.

Die Corona-Pandemie nagt am Zahn der Zeit. Konfrontiert mit Homeoffice, Kinderbetreuung und Lockdown haben sich Arbeits- und Freizeit häufig untrennbar vermengt und die eingespielte Work-Life-Balance durcheinandergebracht. Nun werden die Stimmen nach einer Vier-Tage-Woche in Deutschland immer lauter.

Produktive Hochphasen besser zu nützen, um dadurch mehr Freizeit zu gewinnen, wurde für Arbeitnehmer während der Homeoffice-Pflicht fester Bestandteil ihrer Arbeitsmethodik. Nun möchten sie diese Freiheiten nicht mehr missen: Anstelle eines höheren Gehalts fordern Arbeitnehmer am Verhandlungstisch verstärkt flexible Möglichkeiten der Zeitgestaltung. Unternehmen jeder Größe müssen sich nun mit agilen Zeitmodellen auseinandersetzen, um Mitarbeitende halten und vielversprechende Talente werben zu können. Dazu gehört auch eine Auseinandersetzung mit der Vier-Tage-Woche.

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Einige Unternehmen in Deutschland haben die neue Wochenarbeitszeit bereits erfolgreich eingeführt und verzeichnen damit überwiegend positive Erfahrungen. Statt jedoch von einem Tag auf den anderen die Arbeitszeit umzustellen, sollten Unternehmen sukzessive vorgehen. Es empfiehlt sich eine Umstellung in drei Phasen:

1. Andere Zeiten, andere Sitten: Entscheidende Absprachen vor der Umsetzung

Selbst bei einer Reduzierung der Arbeitszeit wie im isländischen Zeitmodell müssen die Mitarbeitenden dieselbe Arbeitsleistung bringen wie zuvor. Dieses Ziel muss der Belegschaft im Vorfeld klar kommuniziert werden. Funktionieren kann es nur, wenn Mitarbeitende eigenständig Arbeitsmethoden mitentwickeln und sich von altbekannten Strukturen lösen. Eine gesteigerte Agilität im Arbeitsalltag ist folglich die Prämisse der Vier-Tage-Woche.

Paradoxerweise braucht es dafür mehr Regeln in der Zusammenarbeit: Um zu allen gesetzlichen Arbeitstagen für Kunden und Partner erreichbar zu sein, sind die Arbeitszeiten der Belegschaft klar zu disponieren, ohne dass einzelne Mitarbeitende den Kürzeren ziehen. Die Bereitschaft zum asynchronen Arbeiten an unterschiedlichen Projekten ist ebenfalls Grundvoraussetzung. Sowohl die Zusammenarbeit als auch eine flexible Personaldisposition können mithilfe digitaler Tools und Plattformen schnell und effizient umgesetzt und evaluiert werden. In manchen Fällen ist die Vier-Tage-Woche allerdings trotz aller digitaler Hilfsmittel nur mit Neueinstellungen umsetzbar. Diese Maßnahme zahlt sich jedoch direkt aus, wenn dafür die Produktivität und Zufriedenheit des Teams steigen.

Damit die Vier-Tage-Woche über alle Hierarchien hinweg gelebt und unterstützt wird, müssen sich auch die Führungskräfte eng untereinander abstimmen und Verantwortlichkeiten teilen. Entziehen sich alle Führungskräfte der Vier-Tage-Woche, haben die Mitarbeitenden das Gefühl, auch in ihrer zusätzlichen Freizeit stets einsatzbereit sein zu müssen – und sind mehr unter Druck gesetzt als bisher. Beteiligen sich die Führungskräfte am Vier-Tage-Wochenmodell, hat dies zudem den positiven Nebeneffekt, dass Silostrukturen abgebaut werden und sich eine einheitliche Wertekultur in der engen Zusammenarbeit im Unternehmen durchsetzt – ein großer Pluspunkt für die Mitarbeiterbindung.

Auch lohnt sich der Blick ins Gesetzbuch: Eine Vier-Tage-Woche beeinträchtigt die gesetzlichen Urlaubstage sowie ggf. Überstundenregelungen und Pausenzeiten. Rechtsabteilungen sollten sich mit diesen Faktoren frühzeitig auseinandersetzen und auch die Belegschaft über die Konsequenzen informieren. Besonderes für Mitarbeitende, die gerne Überstunden für einen Freizeitausgleich gesammelt haben, wird die Vier-Tage-Woche eine Umstellung bedeuten: Zum einen haben sie einen Tag weniger zum Sammeln ihrer Überstunden. Teilt das Unternehmen nach belgischem Modell knapp vierzig Stunden auf vier Tage auf, wird es zum anderen bei einem Zehn-Stunden-Arbeitstag noch kräftezehrender, Mehrarbeit aufzubauen.

2. Eine Testphase bringt Klarheit

Vor der endgültigen Entscheidung für oder gegen eine Vier-Tage-Woche sollte eine ausgiebige Testphase mit der Belegschaft vereinbart werden. Sie sollte mindestens sechs Monate anhalten, damit die Mitarbeitenden ihre Routinen entsprechen umstellen und neue Arbeitsweisen erproben können. Startschwierigkeiten lassen sich dabei nicht vermeiden. Dennoch sollte sich diese Probezeit nicht negativ auf die Vergütung auswirken – dann wäre ein Scheitern vorprogrammiert. Entscheidend ist, dass die Testphase den Mitarbeitenden auch als solche kommuniziert wird – Unternehmen sollten in keinem Fall Versprechen machen, die sie später nicht halten können. Je nach Unternehmen kann die Zeitumstellung auch sukzessive erfolgen, indem beispielsweise zunächst nur zwei zusätzliche freie Tage im Monat vereinbart werden. Dies erleichtert die interne Umstrukturierung, bis alle einen Tag pro Woche weniger arbeiten können.

3. Evaluation zukünftiger Zeitmodelle

Nach der mehrmonatigen Testphase zeigt sich meist deutlich, ob die Vier-Tage-Woche positive Auswirkungen auf das Unternehmen hat. Bestenfalls ist das Unternehmen nun für die neue Arbeitszeit gewappnet. Wenn nicht, müssen die wesentlichen Problematiken analysiert und der Belegschaft transparent kommuniziert werden. Gegebenenfalls hat das Experiment Vier-Tage-Woche andere flexible Zeitmodelle aufgezeigt – beispielsweise fünf kürzere Arbeitstage oder Mischformen aus langen und kurzen Arbeitstagen –, die besser in die Unternehmensstruktur passen. Modelle wie die Vier-Tage-Woche auf ewig zu verwerfen, wäre jedoch ein Fehler: Beständig strömen neue digitale Tools auf den Markt, welche agile Arbeitsweisen erleichtern. Und auch Kunden, Partner und Konkurrenten wenden sich auf lange Sicht dem Wunsch ihrer Mitarbeitenden nach mehr Freizeitgewinn zu.

Eine neue Zeit bricht an

Ob und wie schnell sich die Vier-Tage-Woche in Deutschland durchsetzt, ist bislang nicht absehbar. Fakt ist aber: In Zukunft werden zeitaufwendige Routinen bald vollständig von Computerprogrammen übernommen, während sich Mitarbeitende anspruchsvollen Denkaufgaben zuwenden. Es liegt auf der Hand, dass diese Aufgabenfelder mehr Erholungsphasen und damit andere Arbeitszeiten brauchen.

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Foto Elton Schwerzel

Elton Schwerzel ist Managing Director DACH bei Cegid. Er blickt auf mehr als 20 Jahre Berufserfahrung im Software-Sektor, u.a. in Management-Positionen bei SAP, OpenText und Workday, zurück. Der ausgebildete Fachinformatiker und Betriebswirt leitet das Cegid-DACH-Team von Köln aus und verantwortet die strategische Entwicklung innovativer Software-Lösungen. Sein Steckenpferd sind u.a. die Themen HR-Transformation, HR-Software und Recruiting.

 

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