HR und Unternehmensführung müssen sich auf ein Gesundheitsmanagement fokussieren, das neuroergonomisches Arbeiten fördert. Warum das so wichtig ist, erfahren Sie hier.
Der Anteil der Beschäftigten, die ihre Arbeit am PC ausführen, ist in Covid-Zeiten weiter gewachsen. So arbeiten ganze 48 Prozent mit bis zu 40 verschiedenen Lösungen. Und auch die Top Drei der Produktivitätskiller – E-Mails, Multitasking und Meetings – haben im hybriden Arbeiten deutlich zu- genommen. Gleichzeitig hat sich die Überarbeitungsrate mehr als verdoppelt. Diese Entwicklung braucht ein neues Verständnis von Gesundheitsmanagement – und das vor allem von HR und Unternehmensführung. Ein Beitrag von Vera Starker, Autorin und Co-Gründerin des Berliner ThinkTanks NWI.
Die Ursache: Alltägliche Fragmentierung und ihre Auswirkung
Durchschnittlich werden Mitarbeiter alle 10,5 Minuten in ihrer Tätigkeit unterbrochen. Diese Fragmentierung stellt – bei gleichzeitiger Informations-Überflutung – einen der relevantesten digitalen Stressfaktoren dar, der mit einer deutlichen Zunahme körperlicher Beschwerden einhergeht. Dabei begegnen Beschäftigte dieser ständigen Unterbrechung und Reizüberflutung mit Multitasking, also dem schnellen Springen zwischen mehreren Aufgaben. Denn das menschliche Gehirn ist nicht in der Lage, zwei oder mehr konzentrationsbedürftige Inhalte parallel zu bearbeiten.
Multitasking wird demnach als Copingstrategie eingesetzt, um der Aufgabenvielfalt gerecht zu werden. Allerdings werden dabei gleichzeitig die Stresshormone Cortisol und Adrenalin verstärkt ausgeschüttet. Dies hat zur Folge, dass sich die Beschäftigten in einem nahezu täglichen Bewältigungsmodus wiederfinden, der letztlich zu einer Überlastung der Arbeitsspeicher im Gehirn führt.
Die Folgen: Leistungsminderung, Stress und Angstregulation
Dabei basieren kognitive Fähigkeit, wie beispielsweise Fehler zu erkennen, richtige Maßnahmen einzuleiten, belohnungsbasierte Entscheidungen zu treffen, zu lernen sowie soziale Prozesse – wie Ausgrenzung – zu erkennen und zu bewerten vor allem auf einer Kernkompetenz: der Fähigkeit, sich zu fokussieren. Aber genau dieser Fokus geht verloren, wenn Mitarbeiter stetig fragmentiert arbeiten und sich im Multitasking-Modus befinden. Zusätzlich dazu wird die Impulskontrolle geschwächt. Die Folge: dünnhäutigere und stressanfälligere Beschäftigte.
Gehirngerechtes Arbeiten als ergonomischer Bürostuhl von heute
Arbeitsplatzergonomie ist in Unternehmen mittlerweile etabliert. Noch vor einigen Jahren war der ergonomische Bürostuhl für die vermehrt sitzend ausgeübten Tätigkeiten in aller Munde, um Rückenschäden zu vermeiden. Der „Bürostuhl des Wissenszeitalters“ ist heute das neuroergonomische, also das gehirngerechte Arbeiten. Dieses weist nicht nur ergonomische, sondern auch psychologische und neurowissenschaftliche Bezüge auf.
Dennoch lässt sich beobachten, dass rein kognitive Aufforderungen, regelmäßige Pausen einzulegen, das Mobiltelefon außerhalb der Arbeitszeiten konsequent auszuschalten und nicht im Multitasking zu arbeiten, häufig ungehört verhallen. Und das obgleich Unternehmen um die schädlichen Folgen wissen. Dieses Phänomen erklärt sich aus psychologischer Perspektive.
Denn Multitasking wird oft intuitiv als Copingstrategie eingesetzt. Der stete Strom an Anforderungen, der unablässig auf Mitarbeiter und Führungskräfte einwirkt, macht es dem Einzelnen schwer, sich individuell abzugrenzen. Daher müssen Unternehmen das Thema auf Systemebene aufnehmen und ihre Wertschöpfung insgesamt gehirngerecht gestalten.
Und das ist gleichermaßen Aufgabe für die Unternehmensspitze wie auch für HR – methodisch unterstützt durch ein neuroergonomisches Gesundheitsmanagement. Denn: nur kollektive Regelungen führen dazu, einzelne Beschäftigte von herausfordernder sozialer Abgrenzung zu entlasten und schaffen eine Kultur, in der Fokus und Konzentration wichtiger sind als ständige Erreichbarkeit und Multitasking.
Neuroergonomisches Arbeiten – vier Hacks
- Alle vorhandenen Technik- und Kommunikationskanäle sollten auf ihren Nutzen überprüft werden, um so die Unterbrechungsrate durch digitale Tools deutlich zu verringern. Idealerweise gibt es maximal drei Kanäle für die interne als auch für die externe Kommunikation.
- Eine kollektive Fokuszeit von zwei Stunden senkt das Stresslevel, was sich auch im Cortisolspiegel messbar zeigt. Gleichzeitig werden Produktivität und das Selbstwirksamkeitserleben erhöht. In dieser Zeit können alle konzentrationsbedürftigen Aufgaben störungsfrei im Singletasking-Modus und damit hoch effizient – idealerweise am Vormittag – bearbeitet werden. Dies sollte alle Hierarchieebenen einbeziehen, da eine tägliche Fokuszeit die Qualität von Business- als auch von Führungsentscheidungen merkbar verbessert.
- Pausen, tägliche Start- und Endzeiten sowie Zeitfenster für die Erreichbarkeit sollten klar definiert sein. Während eine Fokuszeit den Mitarbeitern und Führungskräften ermöglicht, konzentriert zu arbeiten, schaffen Erreichbarkeitszeitfenster die Möglichkeit für Austausch und Kalenderüberbuchungen sind passé.
- Über die Hälfte aller Beschäftigten gehen davon aus, permanent erreichbar sein zu müssen. Die daraus resultierende fehlende Regeneration mündet oftmals in einer dauerhaften mentalen Erschöpfung. Eine hohe psychologische Sicherheit zu schaffen, zahlt daher unmittelbar darauf ein, dass sich Beschäftigte abgrenzen dürfen.
Fazit
Gerade jetzt muss sich HR und Unternehmensführung auf ein Gesundheitsmanagement fokussieren, das gehirngerechtes Arbeiten fördert. Nur so wird digitaler Stress deutlich reduziert und effizientes Arbeiten im New Normal ermöglicht. Denn Multitasking und Co. schaffen auf Dauer nicht nur Mehrkosten aufgrund hoher Erschöpfungsraten und Burnouts, sondern spiegeln sich auch in messbar verminderter Leistungsfähigkeit sowie in einem sinkenden Commitment zum Arbeitgeber wider.
Photos: ©Twenty20/@a_gubinskaya / ©Twenty20/@walton_dana121
Vera Starker ist Autorin und Co-Gründerin des Berliner ThinkTanks NWI.