HR sollte sich von der „Jahre an Erfahrung”-Besessenheit und Keyword Matching verabschieden, sagt Gilles Scheuren, matched.io. Tech-Empathie ist gefordert.
Neulich hörte ich ein Gespräch zwischen zwei Entwicklern: “Ich bin ein Node Full Stack Entwickler. Warum fragt er mich, ob ich Maven und Spring Boot in meiner täglichen Arbeit nutze?”. Falls Sie die Frage nicht komisch finden, bitte weiterlesen. Vielleicht gibt es doch nervige Fragen. Ist es Unwissen? Ignoranz? Oder fehlt einfach die Bereitschaft und Fähigkeit, sich in die Köpfe, Arbeit und Herzen der Entwicklerinnen und Entwickler einzufühlen? Fehlt die Tech-Empathie? Ein Meinungsbeitrag ohne Stigmatisierung.
Hurra, hurra, das Marketing ist da.
Developer sind der Grundstein für Digitalisierung – und werden eine immer stärker nachgefragte Ressource. Viele Unternehmen haben inzwischen erkannt, dass sie wohl etwas zu lange Entwickler ohne nähere Kenntnis angesprochen und Stellenangebote ins Blaue versendet haben. Mittlerweile werben sie auf sozialen Medien um Fachkräfte, produzieren Filme (neuerdings sogar Podcasts) und bauen retro Landingpages. Sie eignen sich sogar den Tech-Jargon an. Aus Marketingsicht gibt es eine Eins mit Sternchen.
Tech-Empathie – eine Bedingung zum Erfolg.
Das Gespräch zwischen den Entwicklern zeigt, dass es nicht genügt, Vokabeln zu pauken. Es geht einerseits darum, die Arbeit von Entwicklerinnen und Entwicklern zu verstehen. Andererseits geht es um den Menschen vor dem Bildschirm. Diese zwei Variablen gehören zusammen. Sie sprechen nicht nur ein disperses Publikum an, sondern sehr verschiedene Individuen. Und genau das ist Tech-Empathie: der empathische und sensible Umgang, mit dem logisch und analytisch geprägten Mindset von Developern.
Stresskörper. “Ich habe keinen Lebenslauf für Dich”.
Developer werden tagtäglich von Unternehmen angesprochen. Die erste Frage ist oftmals so belanglos wie vorhersehbar. Und keine Seltenheit. “Wie viel Jahre Erfahrung hast du mit JavaScript”? – Oh heiliger Mangel an Vorbereitung. Kein Wunder, dass nicht auf die Nachrichten geantwortet wird. Ein kleiner Tipp: Um das Profil zu verstehen, muss man es lesen. Es werden Fragen gestellt, die man sich einfach aus dem Lebenslauf hätte ziehen können. Und nur weil jemand JavaScript vor eintausend Jahren gemacht hat, heißt es nicht, dass die Person in diese jetzige Java Position passt. Und vor allem müssen Personalabteilungen weg von dieser “Jahre an Erfahrung”-Besessenheit. Weg vom Keyword Matching hin zur Tech-Empathie. Es beginnt mit der Aufmerksamkeit für den Menschen, jener Wachheit und Neugier. Die Technologie ist ständig in Bewegung und wandelt sich. Es geht nicht nur um Sprachen, Methoden und Syntaxen. Es geht vielmehr um die Rolle im Projekt, die angeeigneten Fähigkeiten und das Erlernte. Es geht um das ganzheitliche Skillset.
Erfolg heißt Weiterentwicklung.
Entwicklung verpflichtet. Entwicklung ist eine Anstiftung, den Fortschritt zu verteidigen – so soll doch alles digital, innovativ und besser werden. Damit einher geht der Wille unablässiger Weiterentwicklung. Notgedrungen. Denn wer es nicht tut, bleibt auf der Strecke. Bis heute dominiert das Bild von introvertierten Nerds. Das ist allerdings etwas veraltet. Der Job als Entwickler ist bestimmt durch Ergebnisorientierung, Problemlösung und eine hohe Tech-Affinität. Mit ihnen wächst das Interesse an effizienten Abläufen, messbaren Ergebnissen und maximalen Erträgen. Und das muss man sich immer wieder klarmachen, vor allem, weil tagtäglich Bilder kursieren, die ein falsches Klischee bedienen.
Ein Appell. Erfolg ist das Ergebnis eines Prozesses.
Aber was genau bedeutet das für Recruiterinnen und Recruiter? Aller Erfahrung zum Trotz soll man genau zuhören und sich Zeit für sein Gegenüber nehmen. Für die Person ebenso wie für die Arbeit. Nicht nur präsent sein, sondern vor allem im Austausch anwesend sein. Weil es Sinn ergibt. Das Ziel sollte sein, diese Denkweise zu digitalisieren und zu skalieren, um die Gesellschaft und somit diese Ressource ein großes Stück weiter zu bringen. Denn letzten Endes ist es eine Frage des gesunden Menschenverstandes. Das ist die Verantwortung, die es mit sich bringt, um wertschätzend mit potenziellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu reden. Denn alles Gute passiert, indem man sich ihm zuwendet, es pflegt, fördert und stärkt. Und das sollte im Recruiting starten. Wir brauchen diesen Ansatz, der wieder Platz lässt für ein Miteinander. Einen Ansatz, der Mitmenschen wertschätzt, anstatt sie zu beziffern und sie als eine Ressource zu betrachten.
Gilles Scheuren ist preisgekrönter Marketer. Speaker. Dozent an der Aston University in UK. Und leitet seit 2020 das Marketing von matched.io - der Jobmatching Plattform für Entwicklerinnen und Entwickler.