Persönlichkeitstests werden häufig im Rahmen von Auswahlprozessen eingesetzt. Ronald Franke von LINC erklärt, was es dabei zu beachten gilt.
Persönlichkeitsanalyseverfahren sind eine hervorragende Informationsquelle zur Unterstützung der Auswahlprozesse und werden im Rahmen solcher Prozesse auch immer häufiger eingesetzt. Argumente für den Einsatz (guter) Persönlichkeitstests im Rahmen der Personalauswahl gibt es viele:
- Übersichtliche Darstellung von sehr wichtigen Informationen, die ein besseres Kennenlernen der Bewerberinnen / Bewerber ermöglichen
- Fundierte Datenbasis für alle Phasen des Auswahlprozesses
- Anwendbar in fast allen Auswahlprozessen, verleiht dem Auswählenden Kompetenz und Sicherheit auch bei der Besetzung neuartiger Positionen
- Die Ergebnisse des Tests geben einem Auswahlgespräch Struktur und Stringenz
- Dokumentierte Ergebnisse, die noch nach Monaten und Jahren für die Kandidatinnen und Kandidaten interessant sind und immer wieder für weitere Beurteilungs- oder auch Entwicklungsprozesse (im Rahmen der Personalentwicklung) genutzt werden können
- Perfekte Basis für das Überprüfen von Veränderungen
- Sehr wertschätzende Rückmeldung für die Kandidatinnen und Kandidaten (wenn der Ergebnisreport ausführlich, wertschätzend und verständlich gestaltet ist).
Damit das große Potential dieser Verfahren ganz ausgeschöpft werden kann, sollten allerdings einige grundlegende Dinge beachtet werden:
1. Persönlichkeitstests eignen sich hervorragend für Einstellungsinterviews, aber nicht für die Vorauswahl
Persönlichkeitsanalysen sind nicht für die Vorauswahl von Kandidatinnen und Kandidaten geeignet, da sie eine Selbstauskunft der Bewerbenden darstellen und daher per se manipulierbar sind. Solche Verfahren sind dafür gedacht, die Kandidatinnen / Kandidaten, die für eine Position in Frage kommen und die zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden, auf Grundlage der erhobenen Daten in der Tiefe kennen zu lernen. Daher sollten niemals auf Grundlage der Ergebnisse von Persönlichkeitstests Kandidatinnen / Kandidaten aussortiert werden. Stattdessen sollten die Tests bei den Kandidatinnen und Kandidaten eingesetzt werden, die in die engere Wahl kommen. Im Vorstellungsgespräch oder im Assessment Center können dann die im Test erhobenen Daten mittels biografischer und situativer Interviewfragen verifiziert werden. Auf diese Weise ist es möglich, sehr viel mehr über die Persönlichkeit der Bewerbenden herauszufinden, als lediglich anhand des Lebenslaufs.
2. Entscheidend für die Qualität und Validität eines Persönlichkeitstests ist das verwendete Persönlichkeitsmodell
Validität bedeutet, dass wirklich das gemessen wird, was der Tests zu messen vorgibt. Im Falle eines Persönlichkeitstests ist das Persönlichkeit. Entscheidend für ein valides Testverfahren ist daher das Modell von Persönlichkeit, auf dem der Test aufbaut. Die Psychologie hat nun sehr klare Antworten auf die Frage, welches Modell Persönlichkeit abbilden kann: das Modell der Big Five! Dieses wird von Profis zum Beispiel für Forschungsprojekte oder psychologische Studien zum Thema Persönlichkeit genutzt. Daher sollte es eigentlich heute außer Frage stehen, dass zur Erfassung von Persönlichkeit das Modell der Big Five genutzt wird! Geschieht dies nicht und werden Modelle genutzt, die empirisch klar widerlegt sind (wie zum Beispiel typenbasierte Modelle) wird dadurch das gesamte Wissen der Persönlichkeitspsychologie ignoriert.
3. SOLL-Profile helfen dabei, die Bewerbenden zu verstehen, sind aber keine feststehenden Urteile
Viele Recruiter arbeiten gerne mit SOLL-Profilen, mit denen ein Abgleich zwischen dem Profil der Kandidatinnen und Kandidaten und den Anforderungen der jeweiligen Position möglich wird. Dies ist grundsätzlich ein sehr sinnvoller Ansatz, aber die Limitationen dieses Ansatzes sollten beachtet werden. Ein Persönlichkeitsprofil basiert auf der subjektiven Selbsteinschätzung der Bewerbenden und nicht auf einer objektiven Bewertung. SOLL-IST Abgleiche können daher als gute Möglichkeit erachtet werden, noch tiefer in die Persönlichkeit der Kandidatinnen / Kandidaten einzutauchen, indem zum Beispiel Abweichungen zwischen SOLL und IST erkannt werden und gemeinsam besprochen werden. Auch hier gilt wie bei Punkt 1, dass Urteile aufgrund der reinen Ergebnisse (zum Beispiel große SOLL-IST-Abweichung) nicht sinnvoll sind.
4. Kompetenzen lassen sich über die Big Five ableiten oder mit Leistungstests messen
Kompetenzen lassen sich nicht mit Kreuzen in einem Ankreuztest messen. Das bedeutet: Kompetenzen repräsentieren die Leistungsfähigkeit einer Person in einem klar umrissenen Kompetenzbereich. Planungskompetenz zum Beispiel die Fähigkeit, komplexe Pläne auszuarbeiten. Messen kann man Kompetenzen nur dann, wenn sie gezeigt werden müssen. Planungskompetenz zum Beispiel dann, wenn jemand komplexe Abläufe vorausplanen muss. Für soziale Kompetenzen braucht man zur Messung soziale Situationen wie Gruppensettings. Mit theoretischen Testverfahren misst man hier bestenfalls immer nur die Intelligenz (durchschaue ich die Aufgaben?). Die Lösung: Entweder es wird mittels Korrelationen über die Persönlichkeitsstruktur auf die Kompetenzen geschlossen (das geht nur mit den Big Five) oder die passenden Verfahren zur Messung der Kompetenz werden identifiziert und eingesetzt. Das sind zum Beispiel
- für Planungskompetenz sogenannte ‚Postkorbübungen‘
- für soziale Kompetenzen Assessment Center inklusive Gruppenübungen und Rollenspielen
- für kognitive Kompetenzen Leistungstests (Intelligenztests, Konzentrationstests)
5. Mit einem aussagekräftigen Ergebnisreport kann erfolgreiches Personalmarketing betrieben werden
Wenn Bewerbende ihre Persönlichkeit im Zuge eines Bewerbungsprozesses offenlegen, dann haben diese eine aussagekräftige Rückmeldung in Form eines mehrseitigen, verständlichen und interessant gestalteten Ergebnisreports verdient! Personalauswahl ist auch immer Marketing und für viele Menschen der erste Berührungspunkt mit einem Unternehmen. Mit einem interessanten Ergebnisbericht über die eigene Persönlichkeit kann eine positive Erfahrung daraus werden, egal ob die Bewerbung erfolgreich ist oder nicht.
Dr. Ronald Franke ist Gründer und Geschäftsführer der LINC GmbH (Lüneburg Institute for Corporate Learning). Als Psychologe, systemischer Coach und Dozent beschäftigt er sich leidenschaftlich mit der modernen Psychologie und der Frage, mit welchen Erkenntnissen und Lösungen sie dabei helfen kann, einige der bedeutendsten Themen unserer Zeit anzugehen. Die LINC GmbH konzipiert und erstellt digitale Instrumente zur Erfassung, Darstellung und Entwicklung von Persönlichkeit mit dem Ziel, die Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis zu schlagen, um einen signifikanten Beitrag zur Professionalisierung im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung zu leisten. Foto: ©LINC